„Splendid’s“ von Jean Genet an der Schaubühne Berlin,
Regie Klaus Michael Grüber
Der Polizist als Gangster
Während sich in der Berliner Schaubühne die Figuranten des Spiels verbeugen und die Zuschauer applaudieren, räumt Spielleiter Klaus Michael Grüber höchstselbst eine herumliegende Maschinenpistole von der Szene. Aucn pustet er die Kerze aus, die die Schutzheilige des Hotels in der Hand hält, das Gangster überfallen hatten. So endet er ein zweistündiges Bühnen-Ritual auffallend trivial.
Die Uraufführung des nachgelassenen Stückes „Splendid's"
von Jean Genet (1910 bis 1986), ins Deutsche übertragen von Peter Handke, ist ein
gesellschaftliches Ereignis durchaus nicht, ein theatergeschichtliches doch
wohl. Denn dieser Perfektionist des Bösen, der skandalumwitterte Autor der
„Zofen", des „Balkon" und der „Neger", mehrfach vor Gericht und
auch eingelocht, von Jean Cocteau, Andre Gide und Jean-Paul Sartre als
französischer Dichter verteidigt, ein Mann, der sich mit den „Black
Panthers" in den USA solidarisierte, der mit der deutschen RAF sympathisierte
und der die Palästinenser unterstützte, dieser Bürgerschreck schrieb wie kein
anderer vor ihm Stücke, die dem Verbrechen in der Welt der Bourgeoisie eine
ästhetische Weihe gaben. Der bürgerliche Held -
rettungslos verkommen zum Kriminellen. Aber verklärt! Aber gestylt! Aber
mystifiziert! „Von den schwarzen Magiern - wie Villon, Sade, Rimbaud und Lautréamont
- ist Jean Genet der Letzte und vielleicht Größte" (Sartre).
Klaus Michael Grüber tat sein Möglichstes, Genets „Prachtkerle" angemessen vorzuführen. Bühnenbildner
Eduardo Arroyo baute ein mit bombastischem Kronleuchter verziertes Vestibül im
siebten Stock eines Hotels. Und darin tänzelten die Gangster herum wie
Marionetten eines widersprüchlichen Schicksals. Keine realistischen
Situationen. Bizarre Symbolik. Obwohl die Regie sich vornehm zurückhält, nicht
etwa sozialkritisch wertet, begreift man: Diese sich mopsenden Herren da auf
der Bühne, die pathetisch, larmoyant oder zynisch Sprechblasen gegeneinander
salbadern und dabei ihre lausigen Seelen offenbaren, sind im Grunde armselige
Würstchen. Zwar tragen sie Frack, aber sie sind nicht mächtig durch Geld,
sondern nur per Maschinenpistole. Mithin sind sie Herrscher lediglich für
kurze Zeit. Schon sind die Magazine ihrer Waffen so gut wie leer.
Und die Polizei steht vorm Hotel! Sie
ist sogar unter ihnen! In Gestalt des Polizisten (Thomas Thieme), der kühn zu ihnen
überwechselte, weil er der Bourgeoisie nicht mehr dienen wollte. Aber die Gewalttäter,
auf deren Format und Weltsicht er gebaut hatte, enttäuschen ihn kläglich. Sie
wollen nicht weiterkämpfen, wollen sich anpassen, sich ergeben. Clever mutiert
er erneut. Er richtet seine Waffe gegen die Gangster, zwingt sie, ihre Hände
zu heben, und verkündet den anrückenden Kollegen: „Es ist serviert!" So fein
geht es zu bei Genet und in einem französischen Hotel. Aber es ist zum Gähnen
langweilig.
Als Zwischenspiel gibt es den
Auftritt einer amerikanischen Lady. Die Verbrecher haben sie gekillt, wollen
sie der Polizei aber auf dem Balkon als lebend vorzeigen. Gangster-Boß Jean
(Sylvester Groth), von der Gang entmachtet, muß sich verkleiden. Bei der
Gelegenheit wird kund, daß zwischen den Männern allerlei homoerotische
Spannungen knistern. Besonders Bravo (Wolfgang Michael), ein pathetischer
Schwätzer, tut sich hervor. Der Mord an der Lady geschah offenbar aus
Eifersucht. Wie halt das Leben so spielt.
Fazit: Im Westen nichts Neues. Was
das Fernsehen vermag, kann das Theater schon lange. So kommt dieser Genet zwar
verspätet, doch noch immer recht. Verherrlichung von Gewalt und Verbrechen,
vielleicht sogar einmal als Protest gedacht, paßt fabelhaft in die derzeitige deutsche
Landschaft.
Neues
Deutschland, 11. März 1994