„Sommernachtstraum“ von Shakespeare am Schauspielhaus
Düsseldorf, Regie Karin Beier
Liebe als animalische Begierde
Obwohl die Juroren auch Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" in der faszinierenden Regie Heiner Müllers ausgewählt haben, fand die Eröffnung des 33. Theatertreffens nicht im Berliner Ensemble statt, sondern im als Musical-Bühne umfunktionierten Schiller Theater. Eine politische Entscheidung? Wahrscheinlich sollte programmatisch der versöhnlichen Näherung der Völker das Wort geredet werden. Und zwar mit dem „europäischen" Shakespeare des Düsseldorfer Schauspielhauses, mit dem „Sommernachtstraum" in der Regie von Karin Beier.
So weit, so gut - doch was ist ein „europäischer"
Shakespeare? Ist der Dichter nicht schon deswegen ein guter Europäer, weil er
nationale Dramatik prägen half? Oder weil er seine Stücke außer in Old-England
gern auch auf dem Kontinent spielen ließ? In diesen unseren modernen Zeiten, in
denen nationale Handschriften immer mehr verblassen und Traditionslinien sich
in multikulturellen Spektakeln auflösen, muß etwas ganz Neues her. Man besetzt
den „Sommernachtstraum" mit vierzehn Schauspielern aus neun Ländern und
hofft, das sprachliche Kauderwelsch auf der Bühne ergibt irgendeine faßbare
neue ästhetische Qualität.
Der Versuch Karin Beiers auf nüchtern rohem Holzpodest (Bühne
Florian Etti) leidet nicht nur an oberflächlichen Beziehungen zwischen den Figuren,
auch an unzulänglicher Verständigung mit dem Publikum. Denn was passiert? Die Spieler
aus neun Ländern - jeder für sich ein Könner, ich denke schon - sprechen nicht
nur jeweils ihre Landessprache, sie klammern sich in solistischen
Parcours-Ritten ans Gebärdenmaterial ihrer Heimat. Die Regisseurin vermag nicht,
stilbildend einzuwirken, sondern läßt parlieren und grimassieren, was ihr ihre
Gäste anbieten. Jeder offeriert das, was er für seine eigene Stärke hält. So
fällt Paolo Calabresi (Mailand) auf, der Theseus, den Herzog von Athen, und Oberon,
den König der Elfen, wie ein Tenor ausstellt. Die Farbige Josette Bushell-Mingo
(London) liefert Titania gefühlsinbrünstig und exotisch gestikulierend. Maia
P. Novosselska-Moskova (Sofia), als Handwerker Schnauz besetzt, exponiert sich
als vitale Ulknudel.
Theater sollte schon mit dem geistigen Flair des jeweiligen
Autors zu tun haben. Shakespeares Komödie „europäisch", also ohne
romantischen Zauber? Na bitte! Doch auch ohne menschliche Wärme? Den tiefgründigsten
Erkunder des Menschen unter den Dramatikern auf einen Lieferanten von Phantombildern
für schrilles Jahrmarkttheater zu reduzieren, verarmt den Briten. Daß Karin
Beier empfindsamen Zugang zu seinen Gestalten finden könnte, zeigt sich durchaus.
Wenn beispielsweise das Erwachen zu spielen ist nach Pucks magischem Augenträufeln,
wenn nämlich noch unmittelbar in konkreter Situation agiert werden muß. Aber solch
sensibel-diffiziles und situativ genaues Spiel sucht die Regisseurin gar
nicht. Immer wieder verliert sich konkretes Verhalten in theatral aufgesetzter
Vorführerei. Der Hofstaat des Theseus benutzt Koffer als Trommeln. Oberons
Elfen fungieren als Clowns-Orchester. Die Handwerker machen Mätzchen mit
Akku-Bohrern.
Spielerische Unmittelbarkeit immerhin zeigen die jungen
Liebespaare - Penny Needler (London) als Hermia, Giorgia Senesi (Mailand) als Helena,
Michael Teplitsky (Tel Aviv) als Lysander, Gergö Kaszás (Budapest) als
Demetrius. Ihr zügiges Agieren hilft, Äußerlichkeiten zu überspielen. Aber
nicht zu übersehen ist: Der Regisseurin liegt theatraler Exzeß am ziemlich kalten
Herzen. Für Shakespeare hatte Liebes-Leidenschaft - ob profan in der Realität
oder kultiviert im Traum - noch alle Ursprünglichkeit, war erstürmbarer
Gipfelpunkt des Menschseins, reine Lust. Für Karin Beier ist Liebe nur noch eine
Variante blutiger Brutalität. Sie demonstriert's vor allem mit zwei Szenen:
Um Zettel, den Handwerker (Jacek Poniedzialek aus Krakau),
in einen verliebten Esel zu verwandeln, schlägt Puck (Zoltán Mucsi aus
Budapest) einem Tier den Kopf ab - immerhin hinter der Szene und nicht
realiter -, der dann, das Maul entsetzt aufgerissen, dem blutbeschmierten
Zettel übergestülpt ist. Und dessen Begegnung mit Titania ist nicht eine von
unerhörter, aber eben ursprünglicher Liebe, sondern lediglich eine von wilder
animalischer Begierde. Auch Zettels komischer Selbstmord als
liebeskümmerlicher Pyramus, angerichtet als blutig-perverse Orgie, ist
schwerlich ein Beleg für Shakespearsche Poesie. Wird sie überhaupt noch gebraucht
auf deutscher Bühne? Das Insider-Publikum im Schiller Theater schien gern zu
verzichten.
Neues
Deutschland, 6. Mai 1996