„Sommernachtstraum“ von Shakespeare am Schiller Theater Berlin,
Regie Hans Neuenfels
Liebe in tyrannischer Obhut
Shakespeares phantastischer „Sommernachtstraum" als raues Wintermärchen. Krachende Donnerschläge. Heulende Stürme. Rieselnder Schnee auf der wohlgerahmten Hinterbühne. Hans Neuenfels macht's möglich. Am Berliner Schiller Theater gibt der renommierte Regisseur heiße, elementare Liebesleidenschaft einer Juni-Nacht - Jan Kotts Deutung aus dem Jahre 1964 folgend - als kaltes „Durchqueren des Tierischen". Szenisches Fazit im edlen Bühnenrahmen Reinhard von der Thannens: Das Gefühl selbstbewußter Liebe, schöne neue Errungenschaft der Renaissance, bleibt gezügelt durch mystisch-mittelalterliche Konvention.
Während Alexander Lang 1980 am Berliner
Deutschen Theater, Thomas Langhoff 1980 am Berliner Maxim Gorki Theater und
noch jüngst Leander Haußmann am Nationaltheater Weimar Liebe und Eifersucht,
Zuneigung und Aggressivität sich emanzipierender Jugendlicher ausloteten,
liefert Neuenfels die Liebespaare, Lysander (Stefan Wieland) und Hermia
(Susanna Simon) sowie Demetrius (Henry Arnold) und Helena (Sophie Rois), einem
tyrannisch-egoistischen Zugriff Oberons aus.
Oberon ist nicht - wie bei Shakespeare -
wunderbar der Herr der Elfen und Naturgeister, der seinen profanen Ehestreit
mit Titania ausficht und dabei Liebesverwirrung stiftet, sondern ist Theseus,
der in den Zauberwald eindringende Herzog von Athen (Peter Fitz), der, da er
mit seiner Braut, der Amazonenkönigin Hippolyta (Elisabeth Trissenaar), nicht
klarkommt, erst einmal als Voyeur seine Gelüste befriedigt. Die militante
Mohrengarde aus dem athenischen Palast und die Elfen, eine züchtig bis zum
Hals in schwarze Tugendwardeine geschnürte Nonnengarde, helfen ihm, die Paare
und deren Liebesqual in einem Boxring zu präsentieren. Auch Puck hat seinen
Anteil, den Bernhard Minetti als einen laxen Entertainer in Frack und roter Weste
kreiert. Und der Herrscher der Nachtgeister läßt es sich nicht nehmen, immer
wieder höchst selbst und mit Grandezza zu intervenieren.
Allerdings vermeidet die Regie Oberon auch
Zeuge der sexuellen Verirrung Titanias sein zu lassen. Ansonsten macht
Neuenfels die groteske Begegnung zwischen Handwerker (Ulrich Noethen) und Feenkönigin
(Elisabeth Trissenaar) zur zentralen Schaffe des Abends. Durchaus mit Anstand.
Zettel ist über seine urplötzliche eselhafte Potenz gar possierlich
überrascht. Und der Titania ist derlei animalische, aber sorgfältige Gier wahrhaftig
auch noch nicht beigekommen. Das alles liegt der Regie am Herzen, das wird deutlich
gezeigt.
Und Neuenfels erzählt von Tyrannei.
Nach der Nacht im Walde hat Theseus noch immer Mühe, seine Braut, die immerhin
die Traumerfahrung der Titania hat, willfährig zu machen. Er führt ihr erst einmal
seine wild kläffenden Hunde vor. Daraufhin kriegt er einen Kuß. Als er aber die
wacker mimenden Handwerker, die ihr Spiel wie Verschwörer heimlich vorbereiteten,
nach deren Auftritt von seiner Mohrengarde killen läßt, greift die stolze
Amazone streitbar zum Bogen. Wenn ich es recht gesehen habe, nur symbolisch,
nämlich ohne Pfeil. So schreckt denn Theseus auch nur pro forma zurück.
Schnell senkt sich der Vorhang. Über einer
Welt bedeuten wollenden, ganz im subtil Theatralischen verharrenden, im Grunde
mit sich selbst kokettierenden Aufführung. Beifall, Bravos für die Akteure,
böse Buhs gegen den Regisseur.
Neues
Deutschland, 14. Juni 1993