„Sommernachtstraum“ von Shakespeare
am Nationaltheater Weimar, Regie Leander Haußmann
Regiephantasie bringt den Zauberwald zum Beben
Der Wald in Shakespeares „Sommernachtstraum" steht - nach Jahren szenischer Enthaltsamkeit - wieder als ein schöner herbstbunter Zauberwald wie einst bei Max Reinhardt auf rotierender Drehbühne (Bühnenbild Franz Havemann). Mit hellem Mond und mitternächtlich tschilpendem Spatz. Phantastisch! Fast ist's eine Anmerkung wert im theaterhistorischen Kalender.
Der das den Berlinern bescherte, ist Leander Haußmann, der nach wie vor mit unerschöpflicher Theaterphantasie arbeitende, derzeit trendangebende Regisseur Deutschlands. Diesmal mit einer Inszenierung des Nationaltheaters Weimar, welche zum 30. Theatertreffen Berlin geladen war.
Nun ist da leider auch allerhand
juveniles Brimborium. Noch kann sich das Spielmeister Haußmann leisten. Noch nimmt
man ihm nicht krumm, wenn er - so
unterhaltsam das ist — einen ins poetische Geschehen geratenen normalbürgerlichen
Zeitgenossen (Steffen Schult) bemüht, der per Zufall ans Wunderkraut gerät,
daraufhin mal kurz verzückt aus der Spielwelt aussteigt und sich einen
Zuschauer in den Wald holt. Oder wenn er - so beredsam das ist -eine „schwarze
Dame" einführt als schreigewaltige Harfenistin, eine Fremde offenbar,
eine Ausländerin, die es am Schluß verpaßt, mit allen Spielfiguren in den inzwischen
auf die Hinterbühne verpflanzten Zauberwald zu flüchten. Ausgesperrt durch eine
sich herabsenkende Wand, besinnt sie sich auf sich selbst, bewegt sie sich
pantomimisch, verzweifelt zunächst, dann gelöst, und holt sich schließlich
tapfer tanzend auf die leere, nüchterne Bühne - gleichsam allein mit Hilfe
ihrer Phantasie - den Zauber zurück.
Mit Verlaub, braucht Shakespeare,
braucht der Regisseur Haußmann solche Ergänzungen? Der Grundeinfall seiner
Lesart trägt doch, nämlich die Spielebenen zu vermengen und zu erzählen: die Leut'
an Theseus Hof stehen a priori und überhaupt im Banne der Elfenwelt, selbst die
prosaischen Handwerker, die geradeswegs aus dem Städtchen Weimar herbeizuschlendern
scheinen. Und zudem zu erzählen: Der Chef der Elfen, dieser sich einmischende Oberon
(Detlef Heintze als ein bürokratischer Grüner mit
Brille und wallendem Haar), ist trotz des Gehilfen Puck nicht mächtig, das
Treiben der „verrückten" Menschen (wie Puck sarkastisch meint) zu befrieden.
Jedenfalls hauen sich Lysander (Nils
Düwell) und Demetrius (Dirk Nocker), nachdem sie splitternackig im Waldsee
eine akrobatische Keilerei abgezogen haben, mit den Schwertern blutig nieder. Selbst
der Mond färbt sich rot. Puck (Eckart von der Trenck), dieser müde Beamte in
Oberons Dienst, kommt einfach zu spät, das Schlimmste zu verhüten. Daß auch
Helena (Katrin Schwingel) und Hermia (Martina Schumann) im Eva-Kostüm
mittenmang sind, erhöht den Reiz dieses auf pure Natur reduzierten Liebes- und
Eifersuchts-Kampfes.
„Adam"-Lysander und „Adam"-Demetrius
beschimpfen sich wechselseitig als Sau (Übertragung Frank Günther), und man erfährt
einmal wieder, wie animalisch es unter den Menschen zuzugehen pflegt.
Zwischen Titania (Annette Büschelberger)
und dem in einen Esel verwandelten Zettel (Henning Orphal) geht es sogar so
tierisch zu, daß der Zauberwald bebt und ein Gewittersturm durch die Bäume fegt.
Aber die Eselsmaske, die das Sprechen behindert, ist eine Ungeschicklichkeit.
Und wie Titania zu zeigen hat, daß sie mit dem Esel oral verkehrte, ist eine
Geschmacklosigkeit.
Nachdem sich die Elfen-Königin im
Walde gründlich ausgetobt hat, ist es nur zu verständlich, wenn die smarte
Hochzeitsgesellschaft, zu der sich auch Oberon mit seinem Gefolge gesellt,
sanft entschlummert, kaum daß die Handwerker ihr kauziges Spiel begonnen
haben. Die freilich nehmen's der Schickeria nicht krumm, sondern agieren
unverdrossen weiter. Wobei sie der Wand, der trennenden, der verbindenden,
grimmige Aufmerksamkeit schenken.
So drastisch Haußmann die Konflikte
ausreizt, wobei er allerdings die Rolle der Amazonen-Königin Hippolyta (Elke
Wieditz) vernachlässigt, so menschenfreundlich heiter geht letztlich alles bei
ihm zu. Dieser Regisseur macht mit Herz und Mutterwitz Lust auf Leben. Die
Zuschauer dankten es ihm mit langanhaltendem Beifall.
Neues
Deutschland, 14. Mai 1993