„Letzten Sommer in Tschulimsk“ von Alexander Wampilow an der Schaubühne Berlin, Regie Andrea Breth

 

 

 

Wie eingesperrt in der Taiga

 

Alexander Wampilows Stücke sind hell und klar wie in seiner russischen Heimat der Baikalsee, in dem er im August 1972 auf tragische Weise ums Leben kam. Daß Regisseurin Andrea Breth jetzt an der Berliner Schaubühne sein Drama „Letzten Sommer in Tschulimsk" herausbrachte, ist zu würdigen. Daß sie das Werk ein wenig verdunkelte, ins mystisch Weihevolle rückte, ist der Zeit geschuldet. Post-sowjetische Jahre halt.

Klänge der Trauer. Zusammengerollte rote Fahnen. Am morschen Gartenzaun entlang zwischenaktig eine murmelnde Prozession. Auf dem Zaun brennende Kerzen. Valentinas Vater, der Aktivist vom Forstbetrieb, löscht sie konsequent aus, wie seine Tochter unverdrossen versucht, den Zaun zu reparieren.

Ja, es ist das Stück Wampilows, in der DDR oft und gern gespielt, in dem seine junge Heldin Valentina in der fernen sibirischen Stadt Tschulimsk trotzig und unverzagt immer wieder repariert, was ihre rücksichtslosen Zeitgenossen zerstören. Es ist das Stück, in dem sein Held Schamanow, der resignierende Untersuchungsrichter, durch die aufbrechende Liebe zu Valentina zu tätigem Leben zurückfindet.

Andrea Breth gibt die hartnäckige Zuversicht Wampilows ins Neckische verfremdet. Bei ihr krönt nicht die bescheidene Aktivität der Helden das Stück, sondern ein Spielzeug-Eisenbahnzug, der sich - bessere Zukunft verheißend - zu aller Überraschung durch den Taiga-Sand frißt. Naja. Idylle wird auch vorläufig nicht ausbrechen in Sibirien. Aber daß Theaterregisseure Meinungen haben, stimmt optimistisch.

Ansonsten zeigt sich das einst an Gorki geschulte Ensemble der Schaubühne überraschend uneinheitlich. Überzeugend Wolfgang Michael als Schamanow. Anfangs übertreibt er Zerstreutheit und Schlampigkeit dieses in der Apathie sich verlierenden Staatsdieners. Doch im Konflikt mit Valentina, Kaschkina und seinem Konkurrenten Paschka findet er zu realem Gestus und Ton. Mit tollkühner Kaltschnäuzigkeit, das Leben verachtend, überläßt er dem eifersüchtigen Paschka (Cornelius Obonya) seine Pistole. Gegenüber Valentina gibt er sich fast väterlich. Und Kaschkina, die Apothekerin, liebt er vor allem nächtens. Die drastische Aufrichtigkeit dieses Schamanow hat Anziehungskraft inmitten der Trostlosigkeit des Tschulimsker Alltags. Hier sind Temperatur und Mentalität des Stückes gut getroffen. Auch von Swetlana Schönfeld, die die Kaschkina als ein Weib charakterisiert, das listig und hinterlistig um mehr als nur nächtliches Glück mit einem Mann kämpft.

Karoline Eichhorn bleibt leider blaß. Ihre Valentina ist herb und unscheinbar. Immerhin bemühen sich drei Männer um diese aufblühende Schönheit. Die insgeheime Liebe zu Schamanow vermag sie nicht zu erzählen. Michael König als sauf- und krawallustiger Dergatschow stellt die Großspurigkeit dieses gebrochenen Menschen theatralisch aufwendig her. Ulrich Matthes zeichnet den schuldigen angeberischen Buchhalter Metschotkin liebevoll, doch etwas äußerlich. Angela Schmid bringt schön den Text der Choroschich.

Die Inszenierung wirkt letztlich gewollt ins Symbolische gehoben. Gisbert Jäkel hat einen im Zenit himmelblauen Rundhorizont geliefert, der in der Tiefe meist blutrot glüht. Die Gestalten ziehen manchmal - wie eingesperrt in die Weite - daran entlang. Mir zu oft aber sind Tätigkeiten der Figuren unmotiviert, gar nicht beredt. Schwer, Wampilows zerrissene russische Seele ins Spiel zu bringen. Eine Ahnung kommt dennoch auf vom Leben im fernen Sowjetland, das stillzustehen schien trotz offenbarer Widersprüche. Wer es nicht empfindet, dem bringt's Andrea Breth mit Düsenjägern bei, die sie per Ton über die Taiga tosen läßt. Viel Beifall.

 

 

Neues Deutschland, 18. Dezember 1992