„Sladek oder Die schwarze Armee“ von Ödön von Horváth am Berliner Ensemble, Regie Fritz Marquardt

 

 

 

Ein deutscher Michel – Geschöpf einer kranken Zeit

 

Wenn das Publikum auf der Bühne platziert wird, das Spiel sich im Zuschauerraum auf ei­nem eigens installierten Po­dest begibt und just oben im zweiten Rang ein sonnenüber­fluteter Hafen geboten wird, steht alle Theaterkonvention kopf. Realität und Bühne sind ausgetauscht, total verfrem­det.

Fritz Marquardt, als Regis­seur szenisch gern ein wenig exzentrisch, leistet sich solch drastischen Akzent am Berli­ner Ensemble für Ödön von Horváths Historie „Sladek oder Die schwarze Armee" aus dem Jahre 1929. Und, zugege­ben und bestätigt, die unge­wöhnliche Kommunikation (Bühnenbild Matthias Stein) läßt die Ereignisse im Deutschland der Inflation nicht geschichtlich fern, son­dern beunruhigend nah er­scheinen.

Hakenkreuzler schlagen ei­nen Menschen blutig, den Journalisten Franz. Ein Pazi­fist, wie sich bald herausstellt. Erschöpft auf der Straße lie­gend, kommt er mit Sladek ins Gespräch, einem einfältig selbstbewußten jungen Ar­beitslosen, der den Frieden nicht kennt und felsenfest glaubt, der Sinn des Lebens ergebe sich daraus, daß in der Natur gemordet wird. Also ist für Sladek das Töten, sind Kriege legitim. Also fühlt sich der Mann wohl bei der schwarzen Armee, dieser von Monopolen und Junkern aus­gehaltenen, den Versailler Vertrag nicht achtenden ge­heimen Reserve der Reichs­wehr. Und er nimmt wenig später hin, daß Anna, seine Geliebte, weil sie die schwarze Armee verraten könnte, von seinen Kumpanen umge­bracht wird.

Fritz Marquardt läßt betont lakonisch agieren. Die Abläufe spiegeln bestürzend die fatalistische Erbarmungslosigkeit der nach offenbar ewig gleichem Muster ausgetrage­nen Konflikte.

Da ist der unbeirrbare Franz, der für die bürgerliche Republik sein Leben riskiert und der dann von eben dieser Republik wegen Landesverrat verurteilt wird, weil er Exi­stenz und Machenschaften der nationalistischen schwarzen Armee zu einem Zeitpunkt öf­fentlich anprangert, zu dem die „maßgebende Stelle" - bei Marquardt ein allgegenwärti­ger schwarzer Schatten in der Mittelloge - gern alles ver­schwiegen haben möchte. In einem Atemzug wird Franz von der Obrigkeit Pazifist, Kommunist und Terrorist ge­heißen. In reifer schauspieleri­scher Leistung bringt Michael Kind die trotzige Kraft dieses aufrechten Linken, dessen be­sonnenes Argumentieren, des­sen überlegene Geduld, dessen verzweifelte Resignation.

Da ist dieser Sladek, der an­geblich gern selbständig denkt, es sich aber schnell abgewöhnt, weil es der „nationa­len Revolution" schaden könnte. Ausstaffiert mit Woll­mütze und Lederjacke, ist er die Personifikation des unseli­gen deutschen Michel, ein Vorfahr des berühmten Galy Gay, der menschlichen Kampfmaschine aus Brechts „Mann ist Mann". Manipu­lierbares Stimmvieh, wenn's sein müßte, wackerer deut­scher Landser auch im Ausland. Hans Fleischmann, kräf­tig bei Stimme, süddeutsch im Klang, wohllautig Wort für Wort, gibt dem „treuteutschen" naiven Wahrheitsfana­tiker eine fast schwejkhafte Treuherzigkeit. Was mir zu kritiklos gespielt ist. Denn Sladek, dieser willfährige Mitläufer rechtsradikaler Horden, ist nicht harmlos. Er ist die wohl gefährlichste, er­bärmlichste, kläglichste Aus­geburt deutscher Geschichte. Und er scheint - was das Schlimmste ist - aus heute noch immer fruchtbarem Schoß gekrochen.

Da ist die schwarze Armee, vertreten durch Knorke, Salm, Rübezahl und dubiose weitere Herren, je nach Bedarf lamm­fromm im Trenchcoat oder militant im Kampfanzug, ver­treten vor allem durch ihren bornierten Hauptmann. Axel Werner gibt ihm diabolische Penetranz. Dieser Abenteurer ist versessen auf eine nationa­le Diktatur. In personenkultischer Egozentrizität richtet er sich auf, wenn die reguläre Armee ihn für würdig hält, ihre Geschütze auf ihn zu richten.

Und schließlich ist da die Obrigkeit, die „maßgebende Stelle", machtpolitische
Drahtzieher im Hintergrund, repräsentiert durch den schon erwähnten anonymen Schat­ten in der Mittelloge, das Ge­richt im Rücken der Zuschau­er sowie durch den Bundesse­kretär, den Untersuchungs­richter, den Kriminalkommis­sar, den Richter - alle Figuren gespielt von Wolf-Dieter Lingk. Und zwar exzellent: unter die Individualität auf­hebender Halbmaske unpersönlich abschnurrende, schneidend demagogische Rhetorik.

Natürlich kommen die Rä­delsführer davon. Der Haupt­mann. Knorke (Martin Seifert). Salm (Dieter Knaup). Rübezahl (Michael Gerber). Sladek aber gerät in die Fänge der Justiz. Angeklagt wegen Mordes an Anna wird er ver­urteilt, dann amnestiert - als „Geschöpf einer kranken Zeit". Ist sie je gesundet?

 

 

Neues Deutschland, 14. April 1993