„Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ von Bertolt Brecht am
Berliner Ensemble, Regie Klaus Emmerich
Reich und reich gesellt sich gern
Picassos Friedenstaube, das Symbol des Berliner Ensembles, ziert den Vorhang. Darüber gehängt, ganz oben, prangt die Information: »Der Senat von Berlin baut mit Mitteln des Bundes das neue BE«. Und auf dem Programmzettel findet sich der Slogan: »Hoffnung ist Mangel an Information« (Heiner Müller).
Soll eine Hoffnung zerstört werden? Fragen, noch bevor das Spiel
beginnt. Welch »neues BE« wird gebaut? Wird's noch ein sich zu Brecht
bekennendes Ensemble sein, so wie das, das jetzt des Dichters Parabel »Die
Rundköpfe und die Spitzköpfe« topaktuell zur Bundestagswahl herausbrachte? Wie
auch immer - die Truppe überraschte mit einer Aufführung, die bester Tradition
des Hauses verpflichtet ist.
Brecht und sein Werk lebten und leben von der produktiven
Haltung gegenüber der Gesellschaft, worunter er eine kritische verstand. Als
der Dichter 1931 - auf der Suche nach einer Parabel über die Faschisierung
Deutschlands - an die Bearbeitung der Komödie »Maß für Maß« ging, hielt er zwar
an Handlungsmotiven Shakespeares fest, erfand aber mit dem Land Jahoo eine
eigene Spielwelt, mit der sich aktuelle politische Macht-Mechanismen deutlicher
spiegeln ließen. Es entstanden zwölf Textentwürfe. Gespielt wird jetzt eine
Fassung Bärbel Jakschs, die sich wesentlich auf Brechts Bearbeitung aus dem
Jahre 1938 stützt und sie zugleich behutsam näherrückt.
Im Gestus gewitzter Verfremdung (Regie und Ausstattung Klaus Emmerich)
demonstrieren die Akteure inmitten eines Baugerüsts vorm Eisernen Vorhang eine politische
Manipulation: Herrschende geben gegenüber ihrem Volk als Regierungswechsel aus,
was realiter alles beim Alten beläßt.
Das geht so: Der Staat Jahoo ist zerrüttet und bankrott. Es wird zwar
viel produziert, aber die Pächter verarmen und wollen den Herren Pacht und
Steuern nicht mehr zahlen. Im Lande formiert sich eine Rebellion. Was tun? An
sich ist eine Salzsteuer angedacht. Der Vizekönig, von Volker Spengler
schelmisch als feistes Schlitzohr vorgeführt, berät sich verdrießlich mit
Staatsrat Missena (Dieter Montag). Sie kommen überein, pro forma dem Angelo
Iberin, einem Politabenteurer, die Staatsgeschäfte anzuvertrauen, weil der
vorschlägt, das Volk, statt wie bisher in arm und reich, nunmehr in Tschuchen
(»arische« Rundköpfe) und Tschichen (»jüdische« Spitzköpfe) einzuteilen und die
Spitzköpfe zu verfolgen. Prompt verführt Iberin, von dem jungen Uwe Fischer
kraftstrotzig als rüder Demagoge dargestellt, mit völkischen Sprüchen
politische Einfalt, vertreten durch den rundköpfigen Pächter Callas und dessen
Tochter Nanna.
Die Tragikomödie dieses Callas gibt Uwe Steinbruch drastisch. Da glaubt
ein armer, hinterwäldlerischer Bauer, sich in der neuen Zeit die Gäule seines
Pachtherrn, des Tschichen de Guzman, aneignen zu können, nachdem der verhaftet wurde,
weil man aus dessen Verhältnis zu der Hure Hanna eine Straftat konstruiert.
Kaum aber hat Callas seinen neuen Besitz vorm Kaffeehaus der Frau Cornamontis
stolz mit seinem »Was-man-hat-hat-man-Lied« besungen, folgt die Ernüchterung.
Inzwischen ist es nämlich nicht mehr opportun, die reichen, staatstragenden
Tschichen zu verfolgen. Dank Iberins »Gewaltkur« konnte die Staatskrise
abgewehrt werden. Der Vizekönig kehrt zurück, um mit rund- und spitzköpfigen
Pachtherrn zu speisen. Und der noch eben um sein Leben bangende de Guzman kommt
frei; denn »reich und reich gesellt sich gern«, wie es im Untertitel heißt.
Brecht nannte seine nicht eben leicht zu rezipierende
Geschichte (die mit der Musik Hanns Eislers ein deftiges Polit-Musical abgibt)
ein Gräuelmärchen. Als solches verfremdete er seinen Aufschrei gegen Hitler.
Heutzutage gehört das Gegeneinander-Ausspielen von Rassen, Völkern und
ethnischen Gruppen - von Afghanistan über Kosovo bis Afrika – zum normalen Profit-Geschäft. Selbst Ostdeutsche werden gegen Westdeutsche ausgespielt.
Deshalb ist es gut und wichtig, das eher gemiedene Stück gerade jetzt
aufzuführen.
Die Inszenierung Klaus Emmerichs überzeugt,
weil nicht historisierend und per Maske äußerlich Rund- und Spitzköpfe vorgeführt
werden, sondern glaubwürdig heutig agiert wird. Carmen-Maja Antoni gibt eine
gewiefte Kaffeehausbesitzerin und Kupplerin, Martin Seifert einen tief
verunsicherten de Guzman, Veit Schubert einen sich urkomisch fast um Kopf und
Kragen redenden Anwalt. Margarita Broich ist eine brave Nonne Isabella, Catherine
Stoyan eine spröde Nanna. Köstlich ihr Kleidertausch.
Zusätzlich Format bekommt der Abend durch
Eislers eingreifende Musik, dargeboten vom gut disponierten Kammer-Orchester
unter souveräner Leitung von Jürgen Bruns, anfangs zwar etwas zu lautstark,
dann jedoch stimmig die berühmten Songs begleitend: Götz Schulte mit dem »Lied
von der Tünche« und dem »Lied von der belebenden Wirkung des Geldes«,
Carmen-Maja Antoni mit der »Ballade vom Knopfwurf«, Catherine Stoyan mit der
»Ballade vom Wasserrad«.
Neues
Deutschland, 23. September 1998