„Rosmersholm“ von Henrik Ibsen an der Freien
Volksbühne Berlin, Regie Frank Hoffmann
Zuckende Puppen an den Fäden eines übelwollenden Schicksals
Als Thomas Langhoff 1989 an den Münchner Kammerspielen Henrik Ibsens „Frau am Meer" inszenierte, erkundete er die psychologische Wahrscheinlichkeit des fast krankhaft seinen
Liebeserinnerungen lebenden Weibes. Frank Castorf am
Deutschen Theater verspottete 1990 den
Spekulanten „John Gabriel Borkmann" a priori.
Jetzt legt Frank Hoffmann an der Berliner Freien
Volksbühne eine mystifizierende
Gloriole über „Rosmersholm".
Ibsen nicht als Realist, sondern als
Symbolist. Womit der behandelte Fall ganz und gar in den konventionellen Guckkasten gerückt wird.
Bedeutungsschwer agieren die Figuren. Offenbar werden sie durchweg als seelisch verkrampft angenommen. Jedenfalls krümmen sie sich bei Hoffmann alleweil wie unter vertrackten Magenbeschwerden.
Ihre Gestik ist hektisch, um nicht zu sagen
epileptisch. Des öfteren gehen sie
ziemlich handgreiflich miteinander
um. Sie sind zuckende Puppen an den Fäden eines übelwollenden Schicksals.
Das Schicksal heißt Freud. Die psychisch
kranke, schließlich umnachtete Beate Rosmer hat sich im Mühlengraben ertränkt. Ihre Pflegerin, Rebekka West (Tatjana Pasztor), ist auf
dem Adelssitz Rosmersholm geblieben,
da sie in geistiger Gemeinschaft mit
dem Hausherrn lebt. Johannes Rosmer
(Hermann Treusch), ein Pfarrer, bekennt sich unter ihrem Einfluß zu freisinnigen Ideen und hat sich zur Abkehr
von der Kirche bewegen lassen.
Rebekka, stellt sich nun aber heraus, hat Beate, die Konkurrentin,
mit bösartiger Beeinflussung Schritt für Schritt in den Tod getrieben. Der das herausfindet, Rektor
Kroll (Ulrich Kuhlmann), der Bruder Beates,
geht ausfragend vor wie von Freud geschult. Obwohl er Rebekka psychisch
unter Druck setzt, weiß er eine kleine Intimität mit ihr durchaus mitzunehmen. Wie
das Psychoanalytikern bei ihren Patientinnen bekanntlich zuweilen widerfährt.
Rosmer, der Abtrünnige, kehrt
in den Schoß der Kirche zurück. Als ihm
Rebekka - endlich!! - ihre Liebe gesteht, die sich unter seinem adligen Einfluß inzwischen von sinnlicher
Leidenschaft zu edler Abstinenz geläutert hat, fühlt er sich ihr so nahe, daß er mit der sich schuldig Bekennenden grotesk umschlungen zum Steg am Mühlenbach
schreitet. Wo sie Hoffmann stehen läßt!
Nun gut. Tragik hätte sich ohnehin
nicht hergestellt. Dazu ist der Fall zu verschroben. Allein, wenn man bedenkt,
daß dieser Johannes der letzte ist in der langen Reihe der Großen aus dem Adelsgeschlecht der Rosmers und bei allem Edelsinn
tief verstrickt in die Konventionen seiner Vorfahren. Freiheitliche
Impulse konnten bei ihm zu nichts anderem führen als zu leerer Rhetorik. Sein
Vorbild und Lehrer, der freie Künstler Ulrik Brendel (Joachim Bliese), der just
kläglich versagt, weiß immerhin zu verkünden,
daß diejenigen im Leben am erfolgreichsten
zu sein pflegen, die keine Ideale
haben.
Bühnenbildner Christoph Rasche hat eine Ahnengalerie grimmiger
Visagen ins Spiel gebracht, das er im übrigen gemeinsam mit Martin Jedryas vorzüglich plastisch
ausleuchtet. Daß darin die Figuren eher herumgeistern, als daß sie leben, bleibt das Geheimnis des Regisseurs. Seine Inszenierung überzeugt
nicht davon, daß es eben dieser Ibsen an der Freien Volksbühne sein mußte.
Neues Deutschland,
22. März 1991