„Romulus der Große“ von Friedrich
Dürrenmatt am Renaissance-Theater Berlin, Regie Martin Woelffer
Romulus – der Staatschef und Eieresser
Beifall auf offener Szene. Im Berliner
Renaissance-Theater. Wenn Romulus sagt: „Es schreit jeder Innenminister auf,
wenn man auf die Gerechtigkeit anstößt." Oder wenn er bilanziert: „Wir
müssen zwischen einem katastrophalen Kapitalismus und einer kapitalen
Katastrophe wählen." Oder wenn er anklagt: „Vaterland nennt sich der
Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen."
Der solche Wahrheiten ausspricht, ist die Titelgestalt in Friedrich Dürrenmatts (1921 bis 1990) „ungeschichtlicher historischer" Komödie „Romulus der Große". Ein Stück - aktuell, tiefgründig, ergötzend. Eine Seltenheit auf dem Theater. Und eine gute Entscheidung, es jetzt auf den Spielplan zu nehmen.
Romulus Augustus, Kaiser von Westrom,
ist bei Dürrenmatt ein fanatischer Hühnerzüchter und Eieresser und sonst gar
nichts. Er wußte schon vor seinem Machtantritt, daß das römische Weltreich
reif und wert ist, zusammenzubrechen, weil es öffentlich Mord, Plünderung,
Unterdrückung und Brandschatzung auf Kosten der anderen Völker betrieb. Und
er wollte das Ende dieses Imperiums. Jedenfalls hat er nichts unternommen, den
Staat zu stabilisieren. Nun harrt er des Tages, an dem endlich die Germanen kommen
und Rom den Garaus machen.
Den Versuch eines Industriellen, des
Hosenfabrikanten Rupf, das Römische Reich mit Geld zu retten, indem er Odoaker,
den Germanenfürsten, besticht und als Zugabe des Kaisers Tochter Rea ehelicht,
vereitelt der Kaiser. Die unerschütterlich patriotisch gesonnene Gattin und die Tochter türmen daraufhin nach Sizilien. Romulus
ist allein - und wird zu seiner Verblüffung vom siegreich eintreffenden
Odoaker verehrt und nicht umgebracht, sondern in Pension geschickt.
Die Handlung besteht aus einer Fülle
von Unwahrscheinlichkeiten. Die possierlichste: Die Untergebenen sind eifrige
Patrioten, der Staatschef politikverdrossen. Welch amüsante Verkehrung! Just
aus diesem grotesken Widerspruch bezieht Dürrenmatt seinen pointierten Humor.
Leider hatte der junge Regisseur
Martin Woelffer das Vermögen nicht, den Witz der Komödie bühnenwirksam in Gang
zu setzen. Auch das beengende Bühnenbild (Christiane Nöfer) ließ präzise Entfaltung
nicht zu. So zündeten zwar Dürrenmatts Denksprüche, aber nicht das Spiel. Unter
der Hand Woelffers schien das Stück gar veraltet, in seiner Machart überholt.
Das mag ich nicht glauben.
Ein Darsteller, der mit dem Text
genregerecht umzugehen verstand, ihn nicht nur gefällig ablieferte, sondern
mit ihm eine Figur gestaltete, war Hans Teuscher als Odoaker. Kostümiert wie
ein bayrischer Tourist, gab er einen umgänglichen Germanenfürsten, der fürchtet,
von seinem martialischen Neffen Theoderich bei nächstbester Gelegenheit umgebracht
zu werden. Charles Regniers Romulus dagegen ist nett zwar in seiner gleichmütigen
Nonchalance, aber zu ungefähr, zu konturenlos.
Dennoch herzlicher Beifall.
Neues Deutschland, 11. Mai 1993