„Romeo und Julia“ von Shakespeare am Schauspielhaus Düsseldorf, Regie Karin Beier

 

 

 

Des Paters weltliches Mißgeschick

 

In Shakespeares „Romeo und Julia" versöhnen sich die ver­feindeten Häuser Capulet und Montagu angesichts der Tra­gödie ihrer Kinder. Nichts der­gleichen bei der begabten Newcomerin Karin Beier (von den Alternativen) am Düssel­dorfer Schauspielhaus. Die junge Regisseurin (28) erzählt statt dessen keck vom Mißge­schick eines Paters, als der sich in weltliche Angelegenheiten mischte. Bei ihr endet die Tra­gödie mit einem scheinheilig seine Unschuld beteuernden Lorenzo (George Meyer-Goll).

Realität in Shakespeare hineinzuzwingen, ist an sich ein groteskes Unterfangen. Shake­speare ist die Realität! Selbst dessen verordnete Versöh­nung. Aber wer will das heutzutage schon entdecken? Wer will sich zum Aufbruch der Re­naissance bekennen? Wer kann das überhaupt noch? Gar mit sozialkritischer Ironie. Das brauchte Dialektik. Das wäre Kampf der Regie. Auch gegen das inzwischen ach so gängige Klischee.

In einer Beton-Tiefgarage (Bühnenbild Florian Etti) lie­fert Karin Beier leider einige Klischees. Die allgemeine Ag­gressivität der Gesellschaft bringt sie mit einer rüden Hauswehr ein, Söhne der Rei­chen, Playboys mit Schlag­stöcken, immer mal wieder martialisch zwischen die Sze­nen genommen. Das hat un­motivierte Aktionismen zur Folge. Der arrogante Tybalt vom Hause Capulet beispiels­weise erteilt dem Benvolio vom Hause Montagu eine ausgiebi­ge Lektion, die der sich ohne ersichtlichen Grund aufzwin­gen läßt.

Dergestalt löst sich das Spiel vom realen Vorgang bei Shake­speare und wird oberflächli­che, effekthascherische Theaterei. Das trifft auch zu auf das Fest der Capulets, wo Paare einfach auf Show machen. Das ist so beim Fürsten von Verona, der simpel als Schießbu­denfigur präsentiert wird. Das passiert bei der Balkon-Szene, die Julia und Romeo als Akro­baten hoch oben auf Schaukeln zu absolvieren haben. Und das ist unübersehbar bei der Hochzeits-Vorbereitung, einem ka­barettistischen Tanz der Kö­che.

Die äußerliche Konflikt-Auf­bereitung führt zu allgemeiner Gebärde und selten zu einem wirklich empfundenen Ton. Am ehesten finden noch Julia (Caroline Ebner) und Romeo (Matthias Leja) zu überzeu­gendem Spiel. Leja, anfangs weinerliche Memme, zu hampelig im Glück, schön in Momenten der Liebe, drastisch im Todes­kampf, beim Versuch, das Gift zu erbrechen.

Hat man sich denn hinein­geschaut ins Düsseldorfer Theater, fällt auf, daß Karin Beier bestimmte Punkte der Fabel ausführlich bedient. Klar gesetzt ist die Hoffnung des Pa­ter Lorenzo, der sich von der Liebe zwischen Julia und Ro­meo Friede der zerstrittenen Häuser verspricht. Groß aus­gespielt ist der Kampf zwi­schen Mercutio (Bernd Grawert) und Tybald (Thomas Hu­ber), vor allem das erfolglose Bemühen Romeos, die Streit­hähne zu trennen. Eindrucks­voll endlich die Liebesnot Juli­as, der Seelenkummer einer Halbwüchsigen. Diese bei Caroline Ebner etwas pummelige, aber energische Person wehrt sich gegen die Heirat, erträgt die Schläge des Vaters (Horst Mendroch), die Drangsal der Mutter (Petra Redinger), greift schließlich zum Trunk.

Karin Beier - eine junge Re­gisseurin am Scheideweg. Ent­weder origineller Vorstoß zur Dichtung oder die derzeit an deutschen Bühnen übliche theaternde Drapierung. Hier ist noch nichts entschieden.

 

 

 

Neues Deutschland, 11. Mai 1994