„Fette Männer im Rock“ von Nicky Silver in der Baracke des Deutschen Theaters Berlin, Regie Thomas Ostermeier

 

 

 

 

Rabenschwarzer Humor

 

Weil ein fetter Mann im Rock das Kind Bishop Hogan im Fahrstuhl angefasst hat, ist alles gekommen. Oder? Jedenfalls hat Bishop, der Bengel, einen psychischen Tick seither. Was unter normalen Verhältnissen vielleicht gar kein Problem gewesen wäre. Schließlich kann ein Jüngling extensiv von Katharine Hepburn schwärmen. Wen stört das schon. Aber da gibt's einen Flugzeugabsturz. Der junge Mann und seine Mutter Phyllis überleben! Was ein Wunder ist - doch nichts taugt. Denn was sollen sie essen, die beiden? Lippenstift? Jetzt zeigt sich, daß sie psychisch extraordinär gepolt sind. Sie werden Menschenfresser, verspeisen die toten Mitpassagiere.

Der rabenschwarze Humor der Psycho-Groteske »Fette Männer im Rock« von Nicky Silver, eines 1960 in Philadelphia geborenen und in Manhattan lebenden Autors, ist jetzt in der Baracke des Berliner Deutschen Theaters in deutscher Erstaufführung zu »genießen«. Es ist das der Auftakt der Wiederbelebung einer Spielstätte, ähnlich der Probebühne der Schaubühne in der Cuvrystraße, wo dramatische Kuriositäten ausprobiert werden. Stücke meist, die fürs große Haus zu riskant sind und für arrivierte Regisseure zu wenig lukrativ. Also muß die Jugend ran. Hier riskierte Thomas Ostermeier die Regie, und das Ergebnis, eine Art Slapstick-Parade komischen Grausens, fand zur Premiere ungeteilte Zustimmung. Dank auch ausgezeichneter Schauspieler.

Astrid Meyerfeldt, schon an der Volksbühne kompetent für groteske Weiber, serviert hier souverän die arrogante Filmregisseurs-Gattin Phyllis Hogan, die durchknallt. Schließlich ist das wirklich kein Vergnügen, auf einer nur von Affen bewohnten Insel kampieren zu müssen. Überraschenderweise läßt der Autor die nachhaltig ihrem Sexleben frönenden Ureinwohner nicht auftreten. Dafür treibt's die Mutter nach fünf Jahren mit ihrem Sohn, der in freier Natur das Stottern abgelegt und sich zum ganz gewöhnlichen Kannibalen gemausert hat. Was Bernd Stempel mit exzellentem Gespür fürs Aberwitzige rotztrocken liefert. Kaum hat Bishop seine Mutter gebumst, reißt er die Macht an sich, belegt er Phyllis mit »Kosenamen«, daß einem Hören und Sehen vergeht.

Immerhin kriegt man mit, daß Ehemann Howard Hogan, ohnehin kein Kostverächter, sich zu Hause unterdessen Pam, eine kleine Porno-Darstellerin, angelacht hat. Michael Schweighöfer kredenzt den Herrn mit nobler Routine, Cathlen Gawlich zaubert ein schrill-ordinäres, himmlisch naives Dämchen. Die Liaison der beiden geht gut, bis die Verschollenen heimkehren. Da muß Pam in den Schrank, denn Vater Howard hat Probleme. Vor allem mit dem Sohn. Bishop kann das Menschenfressen nicht mehr lassen! Er bringt der Mutter Schuhe von Frauen, denen er das Lebenslicht ausgeblasen hat. Aber auch die Eltern killt er und des Vaters Geliebte. Daß er verurteilt wird, ist das mindeste; daß er in der Anstalt auch noch die irre, ihn liebende Popo Martin (Cathlen Gawlich) tötet, ist nur logisch.

Das Fatale: Solch komprimiert rabenschwarzes Theater über ein Monster ist von den Perversitäten dieser verrotteten Zivilisation gar nicht so weit entfernt.

 

 

 

Neues Deutschland, 9. Dezember 1996