„Richard III.“ von Shakespeare am Le Jaune Théâtre National Paris, Regie Matthias Langhoff

 

 

 

Simple Haupt- und Staatsaktion

 

An Marlene Streeruwitz mußte ich denken, an die österreichische Dramatikerin, die Shakespeare einen Langweiler schimpft. Sie spricht mir nicht aus dem Herzen, aber beim Gastspiel des Le Jeune Théâtre National, eines französischen Nachwuchs-Theaters, im Rahmen der 46. Berliner Festwochen, konnte ich sie fast verstehen. Zumindest dieser »Richard III.« ist ein elender, ein ziemlich langweilender Theater-Schinken.

Oder lag's an Bearbeitung und Inszenierung? In der Tat: Was mag Matthias Langhoff (1969-76 mit Manfred Karge an der Volksbühne, 1994 kurzzeitig Mitglied der »Regie-Fünfer-Bande« am Berliner Ensemble, seit 1996 französischer Staatsbürger) bewogen haben, das Stück mit jungen Spielern einzuüben, die just Eleven einer Schule geworden zu sein scheinen? Und das obendrein in aller Ausführlichkeit, ausgeweitet zum Drama »Gloucester Time / Matériau-Shakespeare / Richard III nach Shakespeare«, mit verbalen Ergänzungen zum Golf-Krieg der Amerikaner, sich quälend von neunzehn Uhr bis kurz vor Mitternacht.

Der Regisseur meinte, weil »Richard III.« ein »Jugendwerk Shakespeares« ist, was in der Gedankenwelt spürbar sei, habe sich eine jugendliche Besetzung empfohlen. Aber vom großen Briten sollte man die Finger lassen, wenn die Darsteller keine differenzierten, situativ konkreten Figuren-Beziehungen herzustellen vermögen, wenn mithin alles auf allgemeine Theaterei hinausläuft; dies in Kostümen, die aus Peachums Firma »Bettlers Freund«, gewiß aber aus Soho zu stammen schienen. Da gewinnt man den Eindruck, es solle einem vorgeführt werden, wie weiland Schauspielerbanden in Europa herumzogen mit Shakespeare im Gepäck, versimpelt zur Haupt- und Staats-Aktion.

Auch das Bühnenbild signalisiert jene Zeiten. Catherine Rankl nutzte ein uraltes, mittels Winden und Seilen nach allen Seiten heb- und absenkbares kleines Spielpodium, hinten mit großem Portal, seitlich mit Mini-Podesten ausstaffiert - erfreulich praktikabel für ununterbrochenes Spiel. Wenn nun freilich königlicher Hofstaat und überhaupt feudale Herrschaftsstrukturen sozusagen zur Bonsai-Dimension minimiert sind, wird's fatales Laienspiel. Einfach kläglich, wenn Höflinge und Schranzen, Mächtige wie Ohnmächtige, weil sie ihren Figuren kein Profil zu geben vermögen, allenfalls hin und wieder diese oder jene allgemeine Gebärde oder Miene abliefern.

Selbst mit Marcial Di Fonzo Bo, dem Darsteller des Richard, hatte ich so meine Probleme. Er ist redegewandt, ohne Zweifel. Aber daß zynisches Argument, höllische Lüge oder schmeichelndes Versprechen aus körperlichem Impuls und Ausdruck kamen, habe ich nur selten gesehen. Der junge Mann blieb ein laxer Gassenlümmel, als der er angetreten. Vom Barbiersessel, wo er sich den Flaum am Kinn behandeln ließ, tritt er vor Lady Anne, ihr rüde ins Haar fassend. Da scheint etwas loszugehen. Aber über den parlierenden Großkotz kommt er nicht hinaus.

Als die zwei Mörder, mit zwei jungen Damen besetzt, Herzog Clarence umbringen wollen, werden sie von einer Fliege gestört. Der Brummer verirrt sich ins Publikum, und einer der Mörder, der ihn verfolgt, glaubt, ihn in der dritten Reihe auf meinem Haupte entdeckt zu haben. Also legt sich eine feste, warme Frauenhand auf meinen Kopf und die andere Hand erschlägt das Biest. Nach solch herziger weiblicher Berührung - bis dahin hin und her gerissen - entschloß ich mich, die Aufführung denn doch prima zu finden. Richards Inthronisation, bekanntlich eine wüste politische Manipulation, hier mit Accessoires aus dem amerikanischen Wahlkampf, schien mich zu bestätigen, gab dem Spiel fast eine professionelle Weihe. Als aber Rächer Richmond samt Heer als holde, anmutige Amazonen aufkreuzten, war mein guter Wille wieder dahin...

 

 

Neues Deutschland, 9. September 1996