„Richard III.“ von Shakespeare am
Hans-Otto-Theater Potsdam, Regie Gert Jurgons
Ein schier perfekter Heuchler
Unterwegs zum Hans-Otto-Theater in der Potsdamer Zimmerstraße kommt der Besucher am Neubau vorbei und sieht, daß das Beton-Rohe zwar weit gediehen ist, aber derzeit weitere Hand offenbar nicht angelegt wird. Wenn der Besucher dann auf dem Heimweg — angeregt durch eine vom Publikum begeistert aufgenommene Premieren-Vorstellung — noch immer über Theater in Potsdam nachdenkt, wünscht er dem der Stadt treuen Ensemble kunstsinnige Abgeordnete und Stadtväter. Es würde Geschichte machen, dieser Truppe unter Chefregisseur Gert Jurgons das neue Domizil nicht zu versagen.
Was an Jurgons’ Inszenierung von
Shakespeares „Leben und Tod König Richard des Dritten" sofort auffällt und
für sie einnimmt, ist, wie theatralisch elementar mit dem Dichter umgegangen
wird. Die Haupt- und Staatsaktion des machthungrigen, zunächst erfolgreichen
und dann scheiternden mörderischen Herzogs von Gloucester wird schnurstracks
als Bühnenspektakel angegangen und mit rhetorischer Selbstverständlichkeit auf
grasgrüner Wiese (Bühnenbild: Angelika Kroworsch) das Chaos einer Umbruchszeit
vorgeführt. Da werden Konventionen zertrümmert, Selbstsicherheiten und Dünkel aufgestört,
neue Herrschaftsstrukturen etabliert.
Ob der spielerischen Intensität söhnte ich
mich mit der Besetzung der Titelpartie aus. Den Richard gibt nämlich eine Frau:
Eva Weißenborn. Wenig trostreich ist zunächst Heinrich Laubes im Programmheft
zitierte Anmerkung, der energische Übeltäter und große Aufräumer unter dem egoistischen
Adel sei auf dem englischen Theater vielfach von einer Dame gespielt worden.
Derlei Sachverhalt ist Gegenstand für Historiker. Heutigen Tages ist von
Schauspielkunst etwas mehr zu erwarten, sofern sie nicht altväterisch
daherkommen will. Was — zugestanden — vielleicht ein unerwarteter Reiz wäre,
aber nicht Absicht war. Auch nicht das einfältige Minimumn Machthunger einfach
als weibisch auszugeben und damit Frauen mehr zu denunzieren als Tyrannen.
Eva Weißenborn — eine rhetorisch beachtliche
Darstellerin, fähig zu gliedernder, sinnfälliger Diktion — überzeugte mit ihrem
vitalen Spiel und machte die Schauspielerin weitgehend vergessen. Gelegentlich
kann sie sich mimische Drückerchen nicht verkneifen, etwa wie sie eine boshafte
Vettel parat hat, aber ihre komödiantische Verve bindet selbst das an ihre
Figur — einen leicht geduckt und onkelig ausschreitenden Rotschopf von
diabolischer Besessenheit, befeuert, scheint's, von den Ständequerelen der Zeit
ebenso wie von fast tierisch anmutender Lust am Töten. Ein genialischer Kopf
ist dieser Bösewicht nicht, aber ein schier perfekter Heuchler. Wenn die Bürger
nicht sogleich willfährig sind, verliert er nur kürz die Fassung. Je näher er
dem Triumph ist, desto dreister, hektischer, aber auch armseliger erscheint
sein Tun. Da verschleißt ein Tyrann schon auf dem Weg zur Macht.
Der letztlich siegreiche neue Herrscher,
Heinrich Graf von Richmond (Bernhard Geffke), der sich hier aus dem blutigen Gemetzel
heraushält, tritt am Ende mit märchenhaft verklärtem Hofpomp auf. Und wie er
gönnerhaft und scheinheilig einen Hofsänger Harmonie produzieren läßt, will einen
nichts Gutes ahnen lassen. Für derlei Zwielichtiges offizieller Staatsfeierlichkeit
sind unsere Sinne derzeit noch geschärft.
Auch im Detail beredte Einfälle. Etwa
wie Lady Anne (Katarina Tomaschewsky) entsetzt reagiert, als sie sich von
Richard aufgefordert sieht, ihn mit dem Schwert zu killen. Oder wie Lord Hastings (Eckhard Becker), vernarrt ins
Liebesspiel mit Madam Shore (Anette Straube), nichts wahrnimmt von aufziehender
Gefahr. Oder wie Herzog von Buckingham (K. Dieter Klebsch) zwischen Würde und
Intrige pendelt. Oder wie Königin Elisabeth (Sabine Arnhold) als eine kalte, beherrschte
Schönheit doch immer wieder in schrille Verzweiflung verfallt. Oder wie die
duldsamen Bürger so nebenher beginnen, etwas von den wahren Mächtigen dieser
Welt zu begreifen — und sich fügen.
Zu nennen noch Günter Rüger als
körperlich ausgezehrte, tapsige, aber geistig wache Witwe Margareta. Zu
monieren vielleicht die Mörder des Herzogs von Clarence, kostümiert als grüne
Müllabfuhr. Da scheinen mir die Mittel inopportun. Anders beim Auftritt des
Dieners (Roland Kuchenbuch), der wirklich plebejische Sicht einbringt.
Neues
Deutschland, 13. Juli 1990