„Der Regenwettermann“ von Alfred Matusche am
Berliner theater 89, Regie Hans-Joachim Frank
Freitod eines Kriegsverweigerers
Gegründet als eine Alternative zu Staats- und
Stadttheater, hat sich das „theater 89" in Berlins Mitte über die Jahre trotzig
als eine freie Bühne behauptet. Frei, scheint mir, ist sie vor allem vom
zweifelhaften Ehrgeiz arrivierter Regisseure, statt des Dramatikers poetischen
Sinngehalt zu erkunden, ihm die eigene „unverwechselbare" Handschrift aufzudrücken.
Hans-Joachim Frank, der mutige Leiter und sensible Regisseur des „theater 89",
ist grundsätzlich auf der Suche nach der Ideenwelt seines Autors. Wer mir nicht
glauben mag, überzeuge sich bei einem Besuch der jüngsten Aufführung des
Theaters, beim „Regenwettermann" von Alfred Matusche.
Matusche (1909-1973) war solch
Stückeschreiber, dessen Texte anscheinend Zugaben der Regie nötig haben. Seine
Figuren, oft mit wenigen Repliken zu plastischen, unverwechselbaren Charakteren
geformt, bewegen sich eigenwillig und im Gerüst einer Fabel, die sich, zwar
irgendwie nach klassischer Dramaturgie gebaut, unkonventionell entfaltet. Da ist
allerhand Mühe nötig, die Gestalten schauspielerisch glaubwürdig mit Leben zu
füllen und in den Tiefen ihrer gequälten Seelen jenes Quentchen Hoffnung, jenes
Scheibchen Humanismus auszufinden, auf das der Autor nie verzichten mochte.
Mit dem „Regenwettermann" (1968) setzte
Matusche ein Zeichen gegen den Militarismus. Vorabend des faschistischen
Überfalls auf die Sowjetunion. Irgendwo an der Grenze im besetzten Polen. Eine
Einheit der Wehrmacht hat in einem grenznahen Dorf vorsorglich alle Juden zu
liquidieren. Der junge Telegrafenarbeiter Gless verweigert sich dem
Erschießungskommando und sucht den Freitod. Während die Schüsse von der nahen
Sandgrube herüberhallen, tritt Dani zu dem Sterbenden, ein jüdischer Junge, der
sich vor den Mördern zu verstecken wußte. Dani verkörpert die Überzeugung, daß
unmenschliche Macht nicht ewig währen wird.
Faszinierend, wie es Hans-Joachim Frank gelingt,
auf der kleinen Bühne des „theater 89" die ganze Ungeheuerlichkeit der
Vorgänge zu fassen - in einem unprätentiösen Stil von großer Wahrhaftigkeit.
Subtile Genauigkeit im Menschlichen, dezente Klarheit im Szenischen (Bühne und
Kostüme Anne-Kathrin Hendel). Anhaltender Regen tief im Hintergrund wird zum
Sinnbild, hilft, die Idee vom Regenwettermann zu verlebendigen: Da war in der
Heimat, im fernen Leuna, ein alter Telegrafenarbeiter. Selbst das ärgste
Sauwetter konnte ihm nichts anhaben. Er riskierte eine Lippe gegen Hitler und
verschwand im Lager. Da ist Gless, sein Nachfolger in Leuna, Soldat nun in
Polen. Auch er mag den Regen, ging bei jedem Wetter seiner Arbeit nach. Jetzt
bäumt er sich tragisch auf. Und da ist schließlich der Pole Dani. Er scheut den
Regen ebenfalls nicht. Er trotzt ihm, er besingt ihn. Er wird vielleicht überleben.
. .
Den berührenden Abend erwirkt eine
überraschend homogene Spielerschar. Frank Köbe ist der blonde junge Deutsche
Gless, rank und schlank, vom Typ her der ideale Durchreißer, aber zu klug, zu
lebensverbunden für den Krieg. Der Hauptfeldwebel Escher Mathis Schraders
hingegen ist die gediegene, stramme und seelenlose Kampfmaschine, wie sie
gebraucht wird. Überzeugend auch Johannes Achtelik als Totengräber, Gabriele Heinz
als dessen Schwester, Uwe Karpa als Soldat Waren, Achim Wolff als Hauptmann, Eberhard
Kirchberg als Lehrer. Sanft, frisch und ungezwungen Jan Mante als Dani.
Das Stück - es sollte in allen deutschen
Landen auf den Spielplänen der Theater zu finden sein.
Neues
Deutschland, 27. Februar 1995