„Herr Puntila und sein Knecht Matti“ von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, Regie Peter Kupke

 

 

Ungeteiltes Vergnügen

 

Ungeteiltes Vergnügen bei „Herr Puntila und sein Knecht Matti" im Berliner Ensemble. Peter Kupke folgte Brechts Hinweis, man müsse versuchen, den „Puntila" in „einem Stil aufzuführen, der Elemente der alten commedia dell'arte und Elemente des realistischen Sit­tenstückes enthält". Der Versuch gelang, dank vor allem der bravourösen Leistung von Ekkehard Schall als Puntila. Schall, zuweilen ein wenig verliebt in exaltierte Manierismen, spielt sich locker und frei, findet organische schauspielerische Lö­sungen. Möglicherweise gibt er den nüchternen Puntila um einige Grade zu tattrig, so daß die agile Vitalität des betrunkenen an Glaubwürdigkeit ein­büßt. Was mir wesentlicher scheint: Er versieht die Trunkenheitsszene mit quirli­ger Clownerie, kraftvoll und poetisch, und nimmt die Nüchternheitsszenen all­täglich und direkt, senil und prosaisch. Aus diesem Widerspruch baut er die Figur, dynamisch, artistisch perfekt. In der Kneipe kommt ihm die erste Anwandlung von Nüchternheit, wenn Matti seine Story über den Spuk auf Pappmanns Gutshof zum besten gibt. Sekunden überlegt Puntila, die Hand zuckt ihm, doch schon gibt er sich wieder dem Suff hin. Hinreißend, wie er einem Zanni gleich seine Sentenzen und Lazzi herausschwadroniert, mit der nacht­wandlerischen Sicherheit und trolligen Behendigkeit eines bis zum Eichstrich Besoffenen. Eine geradezu klassisch burleske „Kiste" dann, wenn er in der Sauna von Matti den Suff ausgeprügelt und -gewässert bekommt. Da prustet er menschenselig und -freundlich, wird er grimmig und griesgrämig, verläßt er die Sauna aufrecht-herrisch, was dem er­nüchterten Puntila nicht leicht fällt, was er aber verbissen zur Schau stellt. Wenn er später von der Galerie herunter die Kurgela-Mädchen anfaucht, ist er ganz das vorzeitliche Tier, Gutsbesitzer ge­nannt, die arge Landplage. Die von Christine Gloger, Sonja Hörbing, Angelika Waller und Barbara Dittus gegebenen Mädchen sind kess und fröh­lich gekommen, sie wissen wohl, daß die Verlobung ein Schmarren ist, aber das Gaudi möchten sie sich leisten und vielleicht fällt ein Kaffee ab und ein Tanz. Sie wollen es nicht recht glauben, wenn Matti so seine Bedenken hat. Und noch Puntilas erste bissig herausgestoßene Ablehnung können sie nicht begreifen, bis sie, von Puntilas Gekeif getrieben, den Hof verlassen. Das fügt sich eindrucksvoll in das Komödiantische dieser Inszenie­rung, wie auch die erkennende Besinn­lichkeit der Finnischen Erzählungen. Ein weiterer Höhepunkt: Evas Verlobung. Carmen-Maja Antoni gibt die Eva als ein spätes Mädchen. Nicht natürliche Sinn­lichkeit und junges Begehren treiben diese Eva zu Matti, sondern verschro­bene, kalte Berechnung, intellektuelle Potenz. Dadurch stellt sich anschaulich die Klassenbeschränktheit dieser Gutsbesitzerstochter gegenüber der gesun­den Natürlichkeit wie sozialen Gerad­linigkeit und Ehrlichkeit des Matti her. Bedenklich indes scheint mir, wenn — ausgelöst durch die vehemente Spiel­freude des Ensembles — Matti bei seiner Eheprobe auf einmal alle Mühe hat, daß die illustre Verlobungsgesellschaft nicht auf seine, sondern auf Evas Kosten lacht. Ansonsten ist die Turbulenz der Verlobungsfeier glänzendes burleskes Volkstheater. Man mag sich streiten, ob Puntila dem Attache schließlich doch die Schlagsahne aufs Zifferblatt stülpen soll, ob das theatralisch seriös ist; ich be­kenne, es passierte, als ich es eben schon nicht mehr erwartete, also genau im rich­tigen Moment.

Puntila vertreibt den heroisch diplomati­schen Attache (Victor Deiß) und schwelgt im Glück. Ist das zu überbieten? Matti baut ihm, den erneut dem Suff Frönen­den, einen Hatelma-Berg, wie er noch nie bestiegen wurde: aus dampfendem Kü­chenherd und erklecklichem Hausrat bis hinauf in die luftige Höhe der Galerie. Das szenische Moment, das Durchstoßen der Galerie von unten her, ist hier allerdings stärker als der mimische Vorgang, so sehr Schall nun auch die Sätze türmt. Hans-Peter Reinecke als Matti, trotzig-fest in der Distanz zum nüchternen, clever­ verschmitzt im Spiel mit dem betrunke­nen Puntila, liefert für mich unauf­dringlich etwas von der erhabenen, kreativen Weisheit des Volkes, die sich einstellt, wenn die Tage der Ausbeuter gezählt sind und der Kampf besonnen und taktisch klug geführt werden muß. Wenn er Puntila verläßt, ist er des Taktierens müde.

Die Aufführung erschließt das Stück mit komödiantischem Zugriff, den Klas­senantagonismus zwischen Puntila und Matti sinnfällig ausformend, und zwar in dem nach Farbe und Raumaufteilung sehenswerten Bühnenbild von Johanna Kieling.

 

(Fortsetzung „Mann ist Mann“ von Brecht in Prenzlau)

 

Theater der Zeit, 6/1975