„Prometheus in Fesseln“ von Aischylos am
Schauspielhaus Erfurt, Regie Ekkehard Kiesewetter
Symbol für die Zukunft des Menschengeschlechts
Mit der Wiedereröffnung des Schauspielhauses der Städtischen Bühnen Erfurt nach seiner Rekonstruktion ist unserer Theaterkunst eine Spielstätte zurückgewonnen worden, die, denke ich, bald über die Bezirksstadt hinaus allgemein Aufmerksamkeit finden wird. Zumindest veranlaßt die erfolgreiche Premiere mit Aischylos' Tragödie „Prometheus in Fesseln".eine Inszenierung von Ekkehard Kiesewetter, zu solcher Hoffnung.
Auch die Stadtväter erwarten nunmehr, und
dies zu Recht, hervorragende künstlerische Leistungen. Schon planen sie ein
Thüringer Theaterfestival der Bezirke Erfurt, Gera und Suhl, das ab 1989
alljährlich die Theaterschaffenden dieser Region zum Wettstreit zusammenführen
soll. Tatsächlich wäre es gut, wenn künftig auch wieder von Erfurt wesentliche
Impulse für unser Theater ausgehen würden.
Grundlage und Voraussetzung ist und bleibt
die solide und kontinuierliche Ensemblearbeit. Immerhin hat in der verflossenen
Zeit der Provisorien kein Darsteller die Erfurter Bühnen verlassen. Zur
bewährten Stabilität kann sich also wieder künstlerische Dynamik gesellen.
Viele langfristig gewachsene Absichten können jetzt ästhetische Gestalt
annehmen. Insofern überrascht, daß der Auftakt nicht mit einem eigens für
diesen Anlaß entwickelten Werk eines zeitgenössischen Autors bestritten wurde.
Dennoch, das ewig Programmatische dieser 2500
Jahre alten Aischylos-Tragödie teilt sich auch in unseren Tagen als aufrüttelnd
aktuell mit. Der „Menschenmacher" Prometheus, der nach Überzeugung des
antiken Dichters dem Geschlechte der Erdbewohner nicht nur das göttliche Feuer brachte,
sondern alle Kultur, Fähigkeiten zu Produktion, Liebe und Hoffnung, dieser
stolze Titan steht uns nah in unserem gegenwärtigen Ringen um die Bewahrung des
Friedens.
Ekkehard Kiesewetter wählte für seine
Inszenierung die Übersetzung von Dietrich Ebener, der anders als Johann Gustav
Droysen insbesondere die irdisch-menschliche Dimension ins Bild und in den Begriff
bringt. Da den Zuschauern die griechische Mythologie nicht unbedingt geläufig
ist, scheint mir solch behutsam zeitgenössisch-assoziative Übersetzung
sinnvoll, wenn sie, wie die Ebeners, auf plumpe Aktualisierungen verzichtet.
Der Regisseur ging hierin voll mit. Er mied
obendrein das Maskenspiel antiker Dämonie, das den verhandelten Gegenstand zwar
theatralisch ins Gigantische, aber unzweifelhaft auch ferngerückt hätte. Kein
vornehmer und leidender Heiliger also wird gespielt, sondern ein
selbstbewußter, stolzer Menschenfreund, ein mannhafter Recke, der dem tyrannischen
Gott Zeus trotz aller Qualen aufrecht widersteht. Kiesewetter läßt sogar, für
Aischylos ungewöhnlich, die Vorgänge psychologisch
ausdeuten, womit er die Göttergestalten merklich individualisiert.
Sie agieren auch nicht,
wie das der Dramatiker wünschte, in einem mächtigen Hochgebirge, schweben nicht
mit Flugapparaten heran. Bei Dieter Lange, der als Gast die Ausstattung
besorgte, ist der Spielort eine mit Metallplatten ausgelegte, in die Mitte der Bühne
platzierte kleine Orchestra. Dahinter erstreckt sich der weiße Rundhorizont mit
drei offenen, schmalen Toren. Dieser nüchterne, neutrale Raum wird zum Tribunal
für des Prometheus Klage gegen Zeus.
Kratos und Bia, niedere
Gottheiten beide, Stärke und Gewalt personifizierend, bei Kiesewetter zwei
robuste Gesellen in hochsohligen, bleiernen Stiefeln und schäbiger Kleidung,
schleifen den Verurteilten herein. Hephaistos (Reinhard Friedrich), der Gott der
Schmiedekunst, offenbar arriviert, denn in seidenem weißen Hemd und schmucker schwarzer Weste auftretend, kettet den Titanen
widerstrebend, aber sich drein schickend auf das metallene Felsplateau.
Langsam richtet sich Prometheus auf. Kaum
zerrt er an den Ketten. Der Sehende ist sich seines Schicksals bewußt und schickt
sich an, der ihm günstigen Stunde zu harren. Herbert Wegner, der die Titelfigur
spielt, hat, nach kleinen Unsicherheiten anfangs, Format und Disziplin, den mythischen
Heroen kräftig zu behaupten und dessen Tatenresümee und Zukunftsvisionen nuanciert
zu sprechen.
Erhaben lacht dieser Prometheus über Zeus,
den neuen Despoten der Götter. Eben noch hat er ihm zum Sieg über dessen Vater
Kronos verholfen. Nun ist er schweren Drangsalen ausgeliefert, weil er den
Menschen half.
Der Darsteller faßt die Figur in ihrer
außergewöhnlichen Widersprüchlichkeit und stilisiert sie ohne vordergründige
Vereinfachungen zu einer Symbolgestalt für Streben nach Humanität und Mündigkeit,
aber auch für das Leid der Unterdrückten und Gedemütigten der Klassengesellschaften.
Deren erste, die Sklavenhalterordnung, projizierte Aischylos so philosophisch aufklärerisch
wie poetisch schlüssig in die Götterwelt. Im Bilde des Tyrannen Zeus geißelte
der Dichter irdische Gewaltherrschaft.
Der gefesselte Prometheus bleibt aktiv. Er
prophezeit lo, der Menschengeliebten des Zeus, die von dessen Gattin Hera
erbarmungslos durch die Lande getrieben wird, einen noch langen, qualvollen
Weg. Dem Mädchen, das ihrem Stande nicht gemäße höchste Brautschaft begehrte,
gibt Irene Kleinschmidt überzeugend nervige und verstörte, doch auch selbstbewußte
charmante Weiblichkeit. Prometheus läßt sich nicht auf Okeanos, des Gottes der Weltmeere,
Vermittlung ein, dem Matthias Brenner, sprecherisch schwach zwar, Züge eines
taktierenden Opportunisten verleiht. Er beugt sich auch nicht den Drohungen des
Zeusboten Hermes, dem Karl-Heinz Krause geschäftsmäßig-gehorsame Umgänglichkeit
gibt.
Der Standhafte ist nicht allein. Die
Okeaniden, die zarten Quellennymphen und jungen Töchter des Okeanos, apart
dargestellt von Angelika Schmidt, Ulrike Nitzschke und Schaukje Könning, sind
zu dritt zwar zu wenige für einen eindrucksvollen antiken Theaterchor, aber im
Sinne dieser individualisierenden Interpretation ausreichend und von schöner
mobiler und frischer Uhmiltelbarkeit. Ihre bangende Sorge erweckt Anteilnahme,
auch ihre schließliche tapfere Entscheidung, ihr Los mit Prometheus zu teilen.
Im grollenden Rachedonner des Zeus gehen sie gemeinsam unter.
Denkbar und gewiß auch spielbar ist eine
hochstilisierte, gebärdensparsame und ganz auf den dröhnenden Vers gestellte
Aufführung. Solch hehre Theatralisierung probierte Kiesewetter nicht. Er tat
gut so, finde ich. Er inszenierte für sein Publikum, das ihm und seinem
Ensemble herzlich applaudierte.
Neues
Deutschland, 23. März 1988