„Die Preußen kommen“ von Claus Hammel am
Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Karl Gassauer
Gewitzte Dialoge mit der Geschichte
Die Komödie „Die Preußen kommen" von
Claus Hammel bietet Stoff für amüsantes zeitgenössisches Theater. Das war schon
1981 festzustellen, als Hanns Anselm Perten das Stück am Volkstheater Rostock
uraufführte; das bestätigt jetzt Karl Gassauers Inszenierung am Berliner Maxim Gorki
Theater.
Wenngleich die Schwächen in der Fabelführung
auch diesmal nicht zu übersehen sind, so ist doch unumstritten: Schon vom Grundeinfall
her ist es ein kapitaler Spaß, den protestantischen Reformer Martin Luther und
den preußischen König Friedrich II. leibhaftig auftreten zu lassen — und zwar
in einer volkseigenen „Prüfungsanstalt für Reintegration historischer
Persönlichkeiten" .
Der geistige Austausch mit Werk und Wissen bedeutender Persönlichkeiten der Geschichte stellt für uns einen widerspruchsvollen Erkenntnisprozeß dar, denn mit fortschreitender gesellschaftlicher Erfahrung kommen wir auch zu differenzierteren Wertungen zurückliegender Zeiten. Dabei obwaltende Umstände geben dem aufmerksamen Beobachter Gelegenheit, am Geschehen auch komische Züge zu entdecken. Und dies nun ist Claus Hammels Stärke.
Er schafft es, die in eine Kunstebene gehobenen Vorgänge der „Reintegration" parteilich, optimistisch und ironisch-gewitzt zu gestalten, was — so es souverän beherrscht ist — wahrhaft ergötzend sein kann.
Die tragende Idee und der Reiz der Komödie
liegen im Gegeneinander-Abwägen der Verdienste und des Kritikwürdigen der großen
Geschichtsfiguren. Aber solch differenziertes Bild entsteht zu wenig aus der
dramatischen Fabelerzählung heraus. Die „Prüfung" ist ja schon passiert,
Frau Professor hat ihre feste Meinung, ihre Dissertation liegt bereits vor. So
sind die episodisch nacheinander gefügten Begebenheiten eher Dispute zum
gegebenen Sachverhalt, teils Spiegelfechtereien, eine Abfolge kabarettistischer
„Spots". Daher kommt trotz treffsicherem und oft mit Lachen quittiertem
dialogischem Witz mitunter Langatmigkeit auf.
Man muß anerkennen, daß Karl Gassauer das
Stück mit geschickten Strichen komprimiert hat. Es gelang ihm auch (und
Ausstatter Henning Schaller half ihm dabei vorzüglich), das in der Uraufführung
völlig deplaziert scheinende Auftreten des Todes künstlerisch zu bewältigen und
zu einer Anklage aller Kriegstreiberei werden zu lassen. Ein Vorzug scheint mir
auch, daß der Regisseur mit Sorgfalt die mische Potenz der Situationen und
Repliken ausschöpfte. Es wird kaum chargiert.
Besonders gefiel mir Ulrich Anschütz, der
mehrere Figuren, unter anderem einen selbstbewußten Transportarbeiter und einen
quirligen Kulturbund-Funktionär, präzise charakterisierend spielt. Kurt Radeke
— meines Wissens erstmals so zentral besetzt — liefert immer eine leichte
Beklemmung mit, als fühle sich der „alte Fritz" nicht so recht geheuer
angesichts seiner „Wiederaufbereitung" . Die Gestalt hat andererseits
etwas hintersinnig Verschmitztes, sozusagen durch historische Distanz
Überlegenes, was sie sympathisch macht. Vielleicht gerät sie insgesamt zu
gemütlich und zu wenig martialisch.
Der Luther von Jochen Thomas ist ein Mann von
harmlos-frohgemuter, treuherziger Redlichkeit. Gisela Rimpler als Professorin zeigt
die Angestrengtheit, die aus der Verantwortung kommt, aber auch die
Aufgeschlossenheit dieser Frau. Auch Renate Reinecke und Christoph Engel
überzeugen.
Der Abend wird vom Publikum zu Recht mit
herzlichem Applaus bedacht. Solch locker-freimütiger theaterspielerischer
Umgang mit Geschichte ersetzt nicht die seriöse Forschung, macht aber neugierig
darauf.
Neues
Deutschland, 28. Januar 1986