„Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Sewan Latchinian

 

 

 

 

Denkmale der Verdummung

 

Für Werner Schwabs fäkalische Orgie »Die Präsidentinnen« hat Bühnen­bildner Tobias Wartenberg die Kammerspiele des Berliner Deutschen Theaters extraordinär hergerichtet. Aus dem Fundus holte er die Kulissen, mit denen sich das schmucke Dekor des Saa­les bis auf die Bühne verlängern läßt. Zwi­schen das Portal sortierte er Reisigbündel zu einem Kreis gleich einem großen Vo­gelnest. Darinnen Ernas Küchentisch. Der Tagungsort der »Präsidentinnen«, wohlbehütet und zugleich sozusagen in­mitten des Publikums. Auch das ständig brennende Saallicht signalisiert: Diese drei schwätzenden und streitenden Österreicherinnen in der Arena, die Mindestpensionistin Erna, die Pensionistin Grete und das Toilettenfräulein Mariedl, sind Volkstypen, wie sie einem auch in Berlin begegnen können.

Über die grotesken Szenen Schwabs, des 1994 im Alter von sechsunddreißig Jahren in Graz verstorbenen Dramati­kers, habe ich 1992 anläßlich der Auf­führung im Schiller Theater und 1995 gelegentlich des Gastspiels des Wiener Burgtheaters geschrieben - habe von meinem Spaß berichtet über die hinter­sinnig-saukomischen Einfälle und von meinem Groll über die Demonstration to­tal verblödeter Menschen. Ich gestehe: Die Verdummung schreitet fort. Wahr­scheinlich macht es wirklich Sinn, den Zuschauern im Theater immer mal wie­der möglichst drastisch ins Bewußtsein zu rufen, was eigentlich Volkes Seele bewegt. Nämlich: Liebe, Triebe und all das, was mit den sogenannten »unteren Wör­tern« erfaßt wird.

Schwab glaubte, sich auszukennen. Ei­ne seiner Figuren, Frau Grollfeuer aus
»Volksvernichtung ...« (1992 im Berliner Ensemble), läßt er sagen: »Visionen, Uto­pien« sind »nichts als Vorform von Alko­holismus ... oder noch schlimmer ... von Religion.« Und das Furchtbarste, was es geben könne, sei das Volk. Welche Auf­fassungen der Autor auch in seinen »Prä­sidentinnen« illustriert. Mariedl, die ach so gottesfürchtige Katholikin, zerstört
herzlos Ernas und Gretes vom Alkohol stimulierte Träume von einem erfüllten Dasein - und wird von beiden umge­bracht, ohne daß die sich lange beraten müßten. Wie das Leben eben so spielt. Ob nun Choräle dazu gesungen werden oder die Original Hinterlader Seelentröster (Hans Bergermann, Lothar Dimke, Willi Scholz, Eckard Ewert) ironisch ihr Lied schmettern.

Sewan Latchinian, der sich als Regis­seur des Stückes angenommen hat, for­ciert nicht äußerlich theatral, sondern entwickelt allen menschlichen Schwach­sinn behutsam aus den Figuren. Das gibt sich zunächst verhalten, die spießige Schwafelei der drei Frauen über mißra­tene Kinder und des Pfarrers Weisheit läppert sich hin. Nach der Prügelei wird's kurzweiliger. Wobei festzuhalten ist: Hier führen nicht gutsituierte bürgerliche Mi­minnen augenzwinkernd eine Gemein­heit vor, sondern lebenserfahrene Schau­spielerinnen zeigen sarkastisch mensch­liche Unbedarftheit, die ja, was heute gern vergessen wird, auch Ergebnis so­zialer Verhältnisse ist.

Vor allem Margit Bendokat überzeugt. Ihr leicht beschränktes Mariedl ist von himmlisch naiver Einfalt, bigott militant, wenn sie fürchtet, es werde irgendwie am Glauben oder an der Lauterkeit des Pfarrers gerüttelt. Dieses Mariedl ist von einer schon wieder rührenden religösen Borniertheit. Ursula Staack erntet Sze­nenbeifall, wenn sie ihre dralle Grete in­brünstig von Liebesleidenschaft schwär­men oder in wütender Verbitterung aufschreien läßt. Die Erna von Carla Hagen zeigt gern Würde des Alters, doch hin­terrücks manipuliert sie mit dem Wein. Auch wenn es nur um die Neige im Glas geht.

 

 

 

Neues Deutschland, 4. Juni 1996