„Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab am Burgtheater Wien, Regie Peter Wittenberg

 

 

 

Der Griff in die Toilette

 

Als 1992 im von Schließung bedrohten Schiller Theater, in dessen Werkstatt, Werner Schwabs groteske Szenen „Die Präsidentinnen" gegeben wur­den - mit Lieselotte Rau (Erna), Ursula Karusseit (Grete) und Sabine Orleans (Mariedl) in der Inszenierung von Markus Völlenklee -, hatte ich einen Spaß an den hintersinnigen, saukomischen und „fäkalischen" Einfallen des jungen österrei­chischen „Volksvernichter-Kraftlackels" Schwab. So eine kleine Ferkelei am Rande schien mir passabel.

Mittlerweile ist's zum Trend geworden, haben sich die großen Häuser der, wie sich herausstellt, lukrativen Ware angenommen. Das zwingt, neu nachzudenken. Was bringt Schwabs Demonstration total verblödeter Menschen? Gaudi an sich? Zufriedenheit dar­über, daß man denn doch nicht so dämlich ist, wie die Mindestpensionistin Erna, die Pen­sionistin Grete und die Toilet­tenfrau Mariedl?

Das Gastspiel des Wiener Burgtheaters zum Berliner Theatertreffen hat meine Fra­gen bestätigt, so wacker die Damen Ortrud Beginnen (Er­na), Hilke Ruthner (Grete) und Ursula Höpfner (Mariedl) unter Spielvogt Peter Wittenberg auch agieren mögen. Natür­lich, die Dramaturgie des Burg­theaters hatte 1989 unrecht, als sie die Szenen mit einem Aktenvermerk als unspielbar kategorisierte. Man weiß doch, ist die Bezahlung geregelt, spielen Schauspieler selbst das Telefonbuch! Unter prominen­ter Regie ist's schon gar kein Problem. Das Stück des 1994 im Alter von 35 Jahren ver­storbenen Werner Schwab ist spielbar. Was mich dennoch so nachdenklich macht: Hu­manistische, ethische Ansprü­che werden von den Bühnen offenbar nicht mehr gestellt. Wozu auch? Das Publikum amüsiert sich! Es ist seit Jah­ren vom Fernsehen für primi­tivste Späße programmiert. Und zu viele Theater trudeln hilflos im Sog!

Da sitzen denn also die „Prä­sidentinnen" in Ernas kleinstbürgerlicher Wohnküche, schauen verzückt fern auf eine Messe des Papstes, schalten die Glotze ab und beginnen, egozentrisch zu schwätzen. Er­na fabuliert mütterlich-bor­niert über ihren Sohn Her­mann und preist den Leberkäs des Herrn Wottila, der es zu einer Fleischerei gebracht hat. Grete räsoniert über ihre Toch­ter Hannelore, glaubt an ihren Dackel Lydia und schwärmt vom blonden Freddy, der ihr gelegentlich den Finger in den Hintern steckt. Mariedl ist stolz auf ihre Fähigkeit, mit bloßen Händen tief in verstopfte Toi­letten fassen zu können.

Nachdem die drei skurrilen Frauenzimmer tiefer österrei­chischer Provinz für ihre Verhältnisse etwas zuviel Wein ge­trunken haben, lösen sie sich mit ihrem Geschwafel ganz und gar von der Realität. Was dazu führt, daß das Mariedl die Träume von Grete und Erna mit bösen Erfindungen zer­stört. Worauf sie von den bei­den umgebracht wird, aber als Goldmarie noch einmal draußen am Fenster herum­schwebt.

Keine Frage, Schwab kannte sich aus. Seine Kritik total ver­blödeter Kleinbürger ist gna­denlos, aber ohnmächtig, weil sie im Sumpf bleibt, nicht her­aus weiß. Möglicherweise hat er nur allzu recht. Kleinbürger brauchen keinen Krieg, um sich umzubringen. Es läßt sich alles in der Wohnküche erle­digen. Mit einem fröhlichen Liedlein für den Herrgott auf den Lippen...

 

 

Neues Deutschland, 26. Mai 1995