„Noch ist Polen nicht verloren“ von Jürgen Hofmann am
Renaissance-Theater Berlin, Regie Ulrike Jackwerth
Politfarce um Sein oder Nichtsein
Der Spielzeitauftakt im Berliner Renaissance-Theater ist
vielversprechend. Jürgen Hofmanns Komödie „Noch ist Polen nicht
verloren" anzubieten, erfordert Courage. Selbst glänzende Darstellung ist
keine Garantie für Zuspruch des Publikums. Horst-H. Filohn, der neue
Intendant, scheut das Risiko offenbar nicht. Es tut gut zu wissen, daß das
politische Theater lebt.
Eine Komödie über den deutschen Faschismus? Die Wehrmacht
hatte die Sowjetunion überfallen, hatte halb Europa okkupiert. Da schrieb der
aus Ungarn stammende Schriftsteller Melchior Lengyel in Hollywood „To be or not
to be" („Sein oder Nichtsein"),
und Ernst Lubitsch und Edwin Justus Mayer verfilmten das Textbuch 1942. Es
entstand eine perfekte Filmkomödie über einen unfreiwilligen Widerstandskampf
polnischer Schauspieler gegen SS und Gestapo.
1989 hat der Berliner Schriftsteller Jürgen Hofmann die Vorlage für das
Theater bearbeitet. Im gleichen Jahr erlebte die Politfarce, wie ich das Stück
ästhetisch orten möchte, ihre Uraufführung in Lübeck. 1991 sah ich am Potsdamer
Hans-Otto-Theater eine Inszenierung Günter Rügers von geradezu explodierender
Spiellaune. Das Bedrohliche der Situationen war zugunsten des Lustspiels
zurückgenommen. Regisseurin Ulrike Jackwerth ging jetzt am Renaissance-Theater
differenzierter vor. Sie hat den unter Umständen ins Tragische umschlagenden Ernst
der Lage wie die komischen Verwicklungen möglichst ausgewogen zu bedienen versucht.
Doch dadurch wirkte, trotz aller Konzentration, die ohnehin 45minütige Exposition
als zu ausgedehnt. Scharf und überzeugend karikiert dann die Szene nach der Pause,
vor allem die zwischen dem als Professor Siletzky auftretenden Schauspieler
Josef Tura und dem SS-Gruppenführer Erhard.
Den Tura vom Posener Theater, der trotz reifen Alters noch
immer mit eitlem Eifer den Hamlet spielt und zum Initiator der Aktion gegen
die SS wird, gibt Günter Junghans als einen umgänglichen Provinzmimen von
herrlicher Gutmütigkeit in Sachen ehelicher Treue und von versteckter Tapferkeit
in Fragen des Widerstandes gegen die Faschisten. So ganz nebenbei wächst da
ein Bürger über sich selbst hinaus. Ausgediente Uniformen aus dem Fundus
verwandeln ihn und seine Kollegen in martialische SS-Beamte, die einem
zugereisten Professor Siletzky vom deutschen Geheimdienst (Rolf Ludwig mit
müder Gelassenheit) eine Liste von polnischen Widerstandskämpfern abluchsen
wollen. Die Sache geht schief.
Aber Tura gibt nicht auf. Kühn spielt er nun jenen Siletzky
und gelangt bis in die SS-Zentrale zu Gruppenführer Erhard. Der, von Wolfgang Bock
als ein schneidiger, zynischer Brutalo charakterisiert, glaubt, den falschen
Professor entlarvt zu haben, sitzt aber den Komödianten auf. Auch sein Adjutant
(Andreas Erfurth sehr präzis) kann ihm da nicht helfen.
Gewichtigen Anteil am glücklichen Ausgang der Unternehmung
hat die Schauspielerin Maria Tura, Josefs Gattin und Heroine des Posener
Theaters, von Susanne Tremper gar nicht als raumgreifendes Weib, sondern als sensibel-charmante
Dame vorgeführt. Fabelhaft verschwörerisch die Kollegen des Tura: die
Schauspieler Bronski (Boris Aljinovic), Grinberg (Achim Wolff) und Kasparek
(Andreas Unglaub). Zu nennen noch Inge Wolffberg als Souffleuse Magdalenchen
und Christoph Jacobi als in Maria verliebter junger polnischer Fliegerleutnant
Stasnik.
Neues
Deutschland, 2. / 3. September 1995