„Fast ein Poet“ von Eugene O’Neill am Berliner Renaissance-Theater, Regie Gerhard Klingenberg

 

 

 

...wenn man erst mal das große Geld hat

 

Als der verarmte Kneipenwirt Cornelius Melody, der Held in O'Neills „Fast ein Poet", endlich zur Besinnung kommt, rät er seiner Tochter Sara, die „vornehmen Idioten zu betrügen". Er meint alle Reichen in Amerika. Noch eben hatte er sich in wildem Eifer wie Don Quichote mit einem von ihnen angelegt. Er hatte das Haus des Yankee Henry Harford gestürmt, weil der Sohn Simon nicht mit Sara verheiraten wollte. Und er war von Harfords Wächtern und von der Polizei elend verdroschen worden. Er begreift: Verdienste in Europa sind keinen Pfifferling wert. Niemand nimmt die „Ehre" in Zahlung, die ihm der Herzog von Wellington 1809 erwies, als er den Major vor der ganzen Armee für seine Tapferkeit in der Schlacht von Talavera auszeichnete.

Vaters Rat freilich hatte die ehrgeizige Sara gar nicht nötig. Sie weiß, keinen Menschen in Amerika „interessiert's, woher man kommt, wenn man erst mal das große Geld hat und damit auch die Macht". Also hat sie, als der Vater sich für sie prügelte, Tatsachen geschaffen. Sie hat Simon verführt.

Das Schauspiel „Fast ein Poet" war von Eugene O'Neill (1888-1953) gedacht als das erste in einem Zyklus von sieben Stücken, mit denen er eine Familiengeschichte erzählen wollte, und zwar „von Besitzenden, die sich selbst um ihren Besitz bringen". Zeigen wollte er die verheerenden Auswirkungen von Habgier, das Elend des „Amerikanischen Traums", die Vereinigten Staaten als den „größten Reinfall, den die Welt je erlebt hat". Der Zyklus wurde nicht vollendet. Das Stück aber liegt vor. Es ist, 1957 in Stockholm uraufgeführt, jetzt in einer Inszenierung Gerhard Klingenbergs am Renaissance-Theater Berlin zu sehen.

Dort hat Andreas Rank Melodys heruntergekommene irische Kneipe in Boston etwas bühnenfrisch aufgebaut. Auch die Regie suchte nicht unbedingt nostalgisches Kolorit. Sie begnügte sich mit relativ stimmigem Spielablauf und damit, daß sich die Darsteller in ihrer Eigenart einbringen. Aber selbst ein Star kreiert damit nicht automatisch einen differenzierten Charakter.

Michael Degen als heruntergekommener Wirt. Er schreitet noch immer aufrecht wie einst als Major, den Morgenmantel korrekt umgelegt wie eine Uniform. Den ehemaligen kommandogewaltigen Offizier glaubt man ihm eher als den versoffenen, vom Whisky-Konsum in Mitleidenschaft gezogenen Prahler. Wenn er - just ist der 19. Jahrestag der Schlacht von Talavera - wie seither immer am 27. Juli seine schmucke Majorsuniform anzieht und vorm Spiegel eitel Lord Byron rezitiert, hat's wenig irische Verschrobenheit, scheint's eher dandyhafte Tändelei. Der mal rüpelhafte, mal zärtliche Umgang mit Tochter Sara kommt bei Degen nicht ursprünglich polternd und ungestüm aus den Schrunden eines desolaten Familienvaters, sondern vornehm aus glattem Kalkül.

Bemerkenswert das übrige Personal. Beatrice Bergners Sara ist von schöner Unmittelbarkeit. Da kämpft eine ehrgeizige, selbstbewußte und tatkräftige junge Frau um ihr Glück, um die Chance, die elende Kneipe, in der sie ihr Vater zur Kellnerin machte, verlassen zu können. Elisabeth Orth ist Melodys geduldige Gattin. Gisela May gibt dezidiert die reiche Deborah Harford. Horst Pinnow serviert in bewährter Treuherzigkeit Melodys ehemaligen Korporal.

 

 

Neues Deutschland, 9. November 1994