„Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt vom
Schauspielhaus Zürich, Regie Achim Henning
Beklemmend heutige Ängste
Dürrenmatts Komödie „Die Physiker" — von diesem Theater 1962 mit Therese Giehse uraufgeführt — hat Achim Henning mit Maria Becker in der Hauptrolle im Oktober 1987 neu inszeniert. Hier bestimmt die gliedernde Sprechweise zwar auch den Rhythmus der Szene, aber Sprache und Geste treffen und ergänzen sich. Das Spiel scheint um Nuancen zu bedächtig, legt jedoch hinter den makabren Vorgängen dieser bitteren Komödie desto deutlicher die noch immer aktuelle poetische Botschaft frei.
Drei Kernphysiker haben sich in die
Irrenanstalt der Dr. von Zahnd geflüchtet. Der eine, Johann Wilhelm Möbius,
stellt sich heraus, ist gar nicht irre. Er sieht in seinem Schritt die einzige Chance
zu verhindern, daß seine Forschungen zur infernalischen Vernichtung der
Menschheit mißbraucht werden. Seine zwei Mitinsassen entpuppen sich — ebenfalls
gesund — als Spione. Die eigentlich gefährlich Wahnsinnige ist die
Anstaltsbesitzerin, die die Forschungsergebnisse von Möbius längst gestohlen
und in eine gigantische Vernichtungsindustrie investiert hat.
Ein ungeheuerliches,
grotesk-komisches Panoptikum. Alle Vernunft sträubt sich dagegen. In der
präzisen realistischen Darstellung des Zürcher Ensembles schwingen beklemmend
begründete heutige Ängste und Sorgen mit. Wenn Ernst Jacobi, ein wundervoll
warmherziger, sympathischer Schauspieler, den Möbius immer normaler, immer sachlicher
spielt, wenn dieser Wissenschaftler schließlich ein streitbar-anklagendes
humanistisches Bekenntnis ablegt, ergibt sich nicht nur eine erschütternde
Identität von Darsteller und Figur, sondern auch die Übereinstimmung des
Künstlers mit dem Publikum.
Hervorragend Maria Beckers dynamische,
zupackende Sprache, ihr klar geführtes mimisches Spiel. Ihre Dr. von Zahnd ist eine
geduckte, zu menschlichen Regungen kaum noch fähige, diabolisch besessene Frau.
Aus dem großen Ensemble noch zu nennen sind der Darsteller Peter Ehrlicher
(Newton), Hubert Kronlachner (Einstein) und Jürgen Cziesla (Kriminalinspektor).
Neues Deutschland, 20. Oktober 1987