Peymann ante portas – ein neues Kapitel Berliner Theatergeschichte beginnt

 

 

 

 

Das Timing stimmt

 

Wenn nichts dazwischenkommt, zum Beispiel bei den Bundestagswahlen, wird Kanzler Helmut Kohl um 1999 in Berlin einreiten. Scheinbar im Gefolge, weil zeitgleich, auch ein »Hofnarr«: Claus Peymann, der neue Intendant des Berliner Ensembles. Indessen ist nachgerade ausgeschlossen, daß sich die beiden über den Termin abgestimmt haben. Peymanns Spürsinn für dramatische Zeiten ist zu ausgeprägt, als daß er sich mit dem möglichen Kanzler der Deutschen hätte absprechen müssen. Er weiß einfach, daß die Jahrtausendwende in Berlin auch für das Theater allerhand Zündstoff in petto haben wird. Da will er dabei sein, will er mitmischen, hofft der über Frankfurt am Main, Stuttgart und Bochum ans Wiener Burgtheater in den Ruhm aufgestiegene Theaterleiter und -regisseur seine Karriere zu krönen.

Und selbstverständlich wird Peymann weder im Gefolge Kohls kommen noch dessen Hofnarr sein. Am Wiener Burgtheater jedenfalls, wo er seit zehn Jahren residiert, hat er die Rolle eines Theatermagiers und -clowns zwar gekonnt gespielt, aber immer heiß umstritten und in deutlicher Reibung mit den Oberen. Wenn er sich mit Senator Radunski, den er noch kürzlich den Zigeunerbaron der Berliner Kultur genannt hatte, beim Frühstück traf, um mit ihm über die Übernahme des BE zu verhandeln, dann läßt das etwas ahnen von der Art des künftigen Polemisierens, Dementierens und schließlichen Versöhnens, das dem Feuilleton willkommenes Futter sein wird und damit den Berlinern wie allen guten Deutschen heiß kredenzt.

Allein - Berlin ist nicht Wien! Was Peymann hoffentlich weiß. Wenn in Wien sein Star Gert Voss sich eine besondere Haarlocke zulegte, dann - so berichtete der Burgtheater-Herr jüngst im Fernsehen - hätten das Wiener Fans begehrt und Wiener Friseure nachgemacht. In Wien sind »Ereignisse« in der »Burg« halt immer solche von öffentlicher städtischer Relevanz. So schön harmonisch läuft das in Berlin für Künstler nicht. Deshalb letztlich ist Voss davongelaufen aus dem BE, der Matthias Langhoff auch, der Peter Zadek hinterher. Wünschen wir schon jetzt dem Claus Peymann mehr Stehvermögen.

Noch ist's ja eine Weile hin. Und das Gezerre um fällige Regelungen wird in den kommenden Monaten noch oft Anlaß zum Nachdenken geben. Wenn man weiß, daß beispielsweise das Hamburger Schauspielhaus derzeit jährlich mit 36,9 Millionen Mark subventioniert wird, das BE aber von 23,4 auf 21 Millionen Mark heruntergefahren werden soll, bedarf es keiner seherischen Kraft, um vorauszusagen, daß zähe Verhandlungen ins Haus stehen. Und mit Rolf Hochhuth als Vertreter der Holzapfel-Stiftung, der Eigentümerin der Immobilie am Schiffbauerdamm, wird wahrscheinlich ein Frühstück nötig. Doch das Versprechen, den Dramatiker Hochhuth gelegentlich zu spielen, wird offene Fragen klären helfen. Was seine eigenen Bezüge betrifft, soll sich Peymann in Wien an etwa eine halbe Million Mark jährlich gewöhnt haben. Das nun wird hart werden - der Senat wird überfordert sein, die Bundesregierung herausgefordert. Peymann versteht sich aufs Pokern. Und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Er läßt sich nicht auf den Künstler zurückdrängen, er macht schon mal öffentlich, wenn er mit der Politik oder einem Politiker querliegt. Jedenfalls scheint er mir nicht einer, der - wie Brecht sagte - »die Kunst, ist die Zahlung geregelt, in die höchsten Sphären versetzt«.

Insofern paßt er zum BE, obwohl er bisher mit Bertolt Brecht und Heiner Müller nicht sonderlich viel am Hut hatte. Es wird mit ihm auch gar nicht darum gehen können, etwa den progressiven Geist des Berliner Ensembles wieder aufleben zu lassen. Das wäre zwar nötig in diesen Zeiten des auf Kosten des Volkes »friedlich« expandierenden deutschen Monopolkapitals, aber noch sind politische Kräfte, die dagegenhalten wollen, zu schwach. Peymann würde wenig Hinterland finden. Und solch politischer Künstler, wie Brecht es war, auch Heiner Müller sich anschickte, ist er nicht. Man wäre also gut beraten, den Etikettenschwindel nicht fortzusetzen und auf Brecht-Erbin Barbara Schall zu hören, die erklärt, »es ist vorbei mit dem Berliner Ensemble«.

In der Tat. Zur Ehrlichkeit des Auftaktes 1999 würde gehören, das Haus wieder Theater am Schiffbauerdamm zu nennen und dem Claus Peymann die Bürde des Erbes von der Schulter zu nehmen. In der Meinung vor allem des Ost-Berliner Publikums wird diese Bühne ohnehin das Brecht-Theater bleiben. Man platziere im Foyer des Hauses gut sichtbar Fotos von weltberühmten Inszenierungen, die Weigel als Courage, den Schall als Ui, den Busch als Azdak und als Galilei, den Kaiser als Papa - und aus der Traum!

Peymann sollte wirklich neu anfangen können. Daß er das zur Zeit noch engagierte Ensemble umkrempeln wird, ist zu erwarten. Er sollte sich Zeit lassen, genau hinschauen. Wenn er nicht alle Brecht-Erfahrenen entläßt, wird er sich so oder so dem schwierigen Prozeß der Integration von Ost- und West-Spielern stellen müssen, der am Deutschen Theater nicht vorankommt, an der Schaubühne kaum versucht wird, am Maxim Gorki Theater mit Qualitätsverlust einhergeht und an der Volksbühne durch outrierte Spielweise kaschiert ist.

»Lustig« wird es werden und ein »prächtiges Theater«, verspricht ein meinungsführender Bundes-Feuilletonist. Der Mann scheint anspruchsvoll, ist aber schön diffus wie stets. Was ist lustig heutzutage? Was ist ein prächtiges Theater? Werden dies die wichtigsten ästhetischen Kriterien für die Hauptstadt?

Peymann wird sich nichts vorschreiben lassen. Soll er die sogenannte »politische Klasse« belustigen, das künftige Heer von Ministerialbeamten? Oder sollte er nicht eher eben diese Kreise permanent beunruhigen? Das wäre etwas, was Theater kann. Das wäre schon viel. Und sollte er nicht eigentlich alle die ergötzen, auch mal schockieren, die nach poetischer Wahrheit lechzen? Das wäre noch mehr! Gewiß scheint mir, daß sich Claus Peymann nicht vor den Theater-Karren spannen lassen wird, der da Nationaltheater heißen soll. Den Gedanken hat schon Lessing verspottet, freilich als die Deutschen noch gar keine Nation waren. Sind sie's jetzt? Lassen sie sich um eine Nationaltheater-Idee scharen, da ihnen ihre »euroreichen« Regierenden den Aufbruch in ein Europa der Monopole aufnötigen?

Nicht als Hofnarr wird er kommen, sondern als kritischer Theatermann, der eine Lippe riskiert, wo es ihm angebracht scheint, mit einer Inszenierung, mit persönlicher Stellungnahme, je nachdem. Peymann wird zwischen der rebellischen Volksbühne und dem selbstbewußten Deutschen Theater ein neues Blatt Berliner Theatergeschichte aufschlagen. Heute wird er sechzig. Wünschen wir ihm gute Gesundheit. Er hat viel Mut auf seine alten Tage. Sein Timing stimmt.

 

 

Neues Deutschland, 7./8. Juni 1997