„Der Park“ von Sean O’Casey an den Bühnen der Stadt Magdeburg, Regie Horst Ruprecht

 

 

Sehnsucht nach einem erfüllten Leben

 

An den Bühnen der Stadt Magdeburg besorgte Horst Ruprecht die DDR-Erstaufführung des Schauspiels „Der Park" von Sean O'Casey. Der proletarische irische Dramatiker, „Revolutionär von Natur aus", wie er sich nannte, wird von Theaterleuten und Zuschauern unseres Landes seit langem hochgeschätzt.

Aus der ansehnlichen Zahl von Inszenierungen seiner Stücke seien erwähnt: „Rote Rosen für mich" (1963 am Deutschen Theater Berlin, Regie: Ernst Kahler), „Purpurstaub" (1966 am Berliner Ensemble, Regie: Hansgeorg Simmgen), „Der Stern wird rot" (1968 am Berliner Maxim Gorki Theater, Regie: Kurt Veth), „Kikeriki" (1986 am Deutschen Theater Berlin, Regie: Rolf Winkelgrund) .

O'Casey, 1880 als Sohn einer Arbeiterfamilie in den Elendsvierteln von Dublin geboren, als junger Mann bereits aktiv in der Gewerkschaftsbewegung, wirkte mit seinem außergewöhnlichen poetischen Talent für die Selbstverständigung der Arbeitenden. Ehrlich und kritisch schrieb er über seine Landsleute, über deren Kämpfe und Irrungen im nationalen Befreiungskampf. Bittere Enttäuschungen, etwa nach der Niederlage des Osteraufstandes von 1916, kompensierte er mit Schreiben, unbeirrbar im Bekenntnis zu einem kämpferischen Dasein, zu dessen Abgründen und Höhen, dessen Tragik wie Komik.

Mit dem 1932/33 entstandenen Stück „Der Park" entwarf er ein gleichnishaftes Sittenbild mit symbolhaften, doch schlüssig in sozialen Beziehungen stehenden Figuren. Ihre Begegnungen in einem Park und ihre Konfrontationen ergeben einen eindringlichen, einen unüberhörbaren Appell für das Leben.

Jannice, eine junge schöne Frau, die sich aus Not verkauft, streunt zwischen Bänken und Bäumen. Ihr begegnet der Träumer, ein brotloser junger Schriftsteller, ein Rastloser, ein Suchender, der das Leben preist und moralische Konventionen verachtet. Neben anderen, armseligen Stuhlvermietern, fruchtlos debattierenden Pensionären, arrogant-naiven Kindermädchen und lebensmüden Hoffnungslosen, ist da auch der Bischof mit seiner Schwester. Er sucht Erholung im Park und des Volkes Nähe. Er ist — so stellt sich heraus — der Vater von Jannice.

Horst Ruprecht verzichtete auf die vom Dichter gewünschten Jahreszeiten, auf den Park im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Auch baute ihm sein Bühnenbildner Günter Altmann eher eine Stadt- als eine Parklandschaft. Er verwendet Dekorationsteile aus der Inszenierung des Horvath-Stückes „Glaube, Liebe, Hoffnung" vom vorigen Jahr, was vielleicht als bühnenbildnerische Klammer für thematisch ähnliche Stücke gemeint sein mag — die Magdeburger orientieren ihren Spielplan bewußt auf markante Frauenschicksale. So wird die symbolische Geschichte „Der Park" aus ihrer poetischen Spielsphäre in ein betont alltäglich-tristes Milieu verpflanzt und der beredte Kontrast zwischen der ständig sich verändernden Natur und dem, in feste Bahnen eingefahrenen Handeln des Bischofs vertan.

Dennoch gelingen dem Ensemble vor allem nach der Pause durch intensives und präzises Spiel im plastisch ausgeleuchteten Bühnenbild anrührend dichte Szenen. Ruprecht nimmt eine Sentenz des Träumers zur Leitidee: „Keiner hat ein Recht aufs Leben, der nicht kämpft, daß es größer wird."

Bei O'Casey stirbt die vergebens um Lebenserfüllung ringende junge Frau. Sich aufbäumend, angestachelt vom Träumer, stampft und wirbelt sie einen letzten wilden Tanz weltlicher Emanzipation, einen Tanz der Abwehr des religiösen Zugriffs. Entkräftet, ausgelaugt sinkt sie nieder. Danach arrangiert der Regisseur, durchaus im Sinne des Symbols, die beschwörende Hymne auf den „irischen Husaren" — den Freiheitskämpfer. Aufrecht und sieghaft wird diese Hymne von der Darstellerin der Jannice und vom Ensemble gesungen. Das geht unter die Haut.

Anke Salzmann gibt Jannice als eine agile, wendige, zunächst wie ein gehetztes Wild umherirrende junge Frau. Schließlich bietet sie ihr Herz dem biederen Gärtner (Michael Vandrey). Der aber will sich nicht an sie binden. Nachdem ihr der Bischof (Gottfried Riemer) eine kleine finanzielle Hilfe versagt hat, folgt sie lebensdurstig den irdischen Lockungen des Träumers (Andreas Keller). In den Begegnungen mit ihrer dem Trunk verfallenen Mutter (Gisela Wahlberg) taumelt sie zwischen der unerfüllten Sehnsucht nach mütterlicher Geborgenheit und der brüsken, unumgänglichen Abwehr der ungerechten Aggressionen der alten Frau. Vielleicht fehlt Anke Salzmann gelegentlich etwas die Kraft, auch sprachlich stets ganz präsent zu sein — aber diese Darstellerin trägt und bestimmt die Aufführung, leidenschaftlich, ursprünglich, empfindsam.

 

 

Neues Deutschland, 9. Januar 1988