„Das Ende der Paarung“ von Franz Xaver Kroetz im Berliner Ensemble, Regie Claus Peymann

 

 

 

 

Bärli ruft Rehlein

 

Zum Auftakt ein Abgesang. Mit seiner ersten Inszenierung am Berliner En­semble signalisiert Claus Peymann den endgültigen Abschied von altbundes­deutschen linken Illusionen, speziell der 68er Jahre. Dazu dient ihm das jüngste Stück des Franz Xaver Kroetz, eine deut­sche Tragödie: »Das Ende der Paarung«. Oberflächlich betrachtet scheint es ein Drama zwischen einem impotenten alten Mann und einer verzweifelten, nach Sex hungrigen jungen Frau zu sein. Doch ein Altersunterschied von rund dreißig Jah­ren ist überall auf der Welt ein Dilemma; deshalb musste der Dramatiker nicht sei­ne Schreibmaschine bemühen. Genauer besehen verbirgt sich hinter der scheinbar allgemeinmenschlichen Problematik sei­ner Figuren auch bei ihm die Abrechnung. Er entzaubert unwiderruflich.

Erinnern wir uns. In der alten Bundes­republik hatten rebellierende Töchter und Söhne des etablierten Kleinbürgertums einen Mythos zivilen Ungehorsams kulti­viert. Ihn repräsentierten schließlich Pe­tra Kelly, die Galionsfigur der Grünen, und Gert Bastian, der Ex-Bundeswehr-Gene­ral. 1992 wurden sie tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Just diese beiden scheitern­den Politiker standen dem Autor Pate. Und nun erleben wir: Die Frau - Kroetz nennt sie »Sibylle« - war eine verzogene, offen­bar ewig pubertäre, krankhaft egozentri­sche, zutiefst spießbürgerliche Zicke. Und der Mann, der »Bert«, war ein närrisch verliebter Lustgreis. Dank Claus Peymanns hochsensibler Regiekunst werden beide »radikal Deutsche« sehr dezent desavouiert.

Der behutsam einfühlsame Umgang ist allerdings vom Autor vorgegeben. Der deftige Volksstücke liebende und routi­niert schreibende Kroetz hat auf Teneriffa, wo er seit 1996 im Winter mit Familie lebt, sehr genau eruiert, welch ästhetischer Zu­schnitt einer zeitgenössischen politischen Tragödie angemessen sein könnte. Vor allem Tschechow und Hauptmann schei­nen ihm ratschlagend über die Schulter geschaut zu haben. Was er vorlegt, ist eine fantasievolle, höchst differenzierte psy­chologische Studie, ein Stück von bester naturalistischer Tradition.

Irritieren mag Kroetzens Forderung an die Regie, zur Betonung bestimmter Se­quenzen die Handlung verfremdend für Sekunden erstarren zu lassen. Niemand kann ihm garantieren, dass der Zuschau­er an eben diesen Stellen mit produktiven Gedanken dazwischenkommt. Befremd­lich eher, wenn die Figuren alleweil kurz posieren. Immerhin wird der Eindruck erweckt, als sei dieser fatale Abstieg in den Tod so unaufhaltsam letztlich nicht gewesen.

Therese Affolter und Traugott Buhre, exzellente Protagonisten, vom Burgthea­ter zum Schiffbauerdamm gekommen, sorgen dafür, dass dieser letzte Tag im Le­ben eines ungleichen Paares immer glaubwürdig bleibt, so unappetitlich die Schlammschlacht zwischen Ehebett, Toi­lette und Küche im Detail auch sein mag. In winkliger, abgewohnter Zimmerschlucht (Bühne Karl-Ernst Herrmann) quälen sich »er« und »sie« über die Zeit. Er glaubt, dass aller Kampf verloren ist. Sie will sich nicht damit abfinden. In ihrer Hoffnungslosigkeit öden sie einander an, fallen unentwegt übereinander her. »Nazi-Sau«, »Militaristen-Arschloch«, »Rassis­ten-Schwein« schimpft Rehlein ihr Bärli, und er tituliert sie »blöde Gans«,»Fotze«, »Zimtziege«. Beschuldigungen. Entschul­digungen. Hass. Ermattete Liebe.

Die nervige, zerbrechlich wirkende Therese Affolter, ziemlich genau der Typ der Petra Kelly, führt mit zarter, weicher Stimme und körperlicher Aufgeregtheit ein psychisch desolates Weib vor. Sie ent­blättert »Sibylle« als eine Frau von läh­mend rechthaberischer Unduldsamkeit. Noch immer von großen Aktionen träu­mend, weiß die sich keinen Platz mehr auf dieser Welt. Sie lamentiert über ihre Un­tätigkeit, steigert sich in Hysterie und ist unfähig zu begreifen, dass schon aktive Betreuung ihres alten Lebensgefährten ein gutes Tun wäre. Stattdessen erwartet sie, dass er endlich einen Kochkurs be­sucht.

Traugott Buhre ist ein liebenswerter, gemütlicher »Bert«, ein Opa mit Engelsgeduld, immer wieder rührend um das leibliche Wohl seiner Partnerin besorgt. Kein vordergründiger Militär, sondern ein noch robuster, würdiger alter Herr von großer innerer Festigkeit und Ruhe. Er­greifend seine tiefe Erschütterung, wenn er erkennt, wie unrettbar kaputt seine junge Lebensgefährtin ist. Bärli ruft Reh­lein - und schießt. Und er hat die Kraft, auch das eigene Leben auszulöschen. Eine bittere Tragödie, resümierend die gesell­schaftliche Ohnmacht des Individuums angesichts des Ruins dieser Welt. Nur lei­se, ganz verhalten eine Komödie auch, stets dann, wenn Bärli sich hilflos dagegen wehrt, von Rehlein gedemütigt zu werden.

Claus Peymann, das sei ausdrücklich noch festgehalten, hat nicht sich, irgend­eine Eitelkeit, sondern zurückhaltend subtil das Stück seines Autors inszeniert. Ob das die neue, gültige Hausmarke sein wird, bleibt abzuwarten. Den Vorhang des BE ziert übrigens nicht Picassos Frie­denstaube. Dafür grüßen dessen sich paa­rende Tauben. Was nicht das Ende be­deuten muss.

 

 

 

Neues Deutschland, 8. Februar 2000