„Othello“ von Shakespeare am Deutschen Theater Berlin,
Regie Alexander Lang
Mohr aus Tausendundeiner Nacht
Wer hätte gedacht, daß »Othello« so aktuell sein kann. Zumindest was die Kabale betrifft. Ich bin kein Fan Bill Clintons, gewiß nicht, aber ich mußte an ihn denken, als ich Alexander Langs Inszenierung der Tragödie am Berliner Deutschen Theater sah. Damals, bei Shakespeare - ein in Weibergeschichten »strohköpfiger« General das Opfer eines hinterlistigen Feindes. Heute, in der Realität - ein weit Mächtigerer, ein sexuell schwachköpfiger Präsident, modernstem Intrigenspiel ausgeliefert. Das sollte schon nachdenklich stimmen.
Nicht, daß Lang, dieser exzellente Ironiker, aus dem hehren Klassiker
des Engländers eine aufreizende Aktualitäten-Show gemacht hätte. Ganz im
Gegenteil. Er versteckt den Konflikt eher in einer fast tradiert
klassizistischen, sakral langmütigen Aufführung und serviert das Geschehen in
Volker Pfüllers klobiger Zypern-Festung mit anmutigem, souverän distanzierendem
Spott. Das ergötzt, das unterhält, das irritiert aber auch.
Jago hält dagegen. Der Regisseur hat ihn mit Götz
Schubert besetzt, der die Klaviatur intriganter Hinterlist darstellerisch meisterhaft
beherrscht. Das Vorgehen des Fähnrichs, dieses infamen Ränkeschmiedes, kann
noch so hanebüchen verlogen sein, bei Schubert ist es immer mit einem Gran
menschlicher Wahrscheinlichkeit gewichtet. Der Darsteller, wie stets
hochdifferenziert mit plastischer Sprache und beredtem Körper, rackert als
hinreißender Theaterbösewicht durch den Abend und ist dennoch immer glaubwürdig
als ein besessen und gnadenlos um seine Karriere kämpfender Militär. Gegenüber
dem General, seinem Chef, kehrt er routiniert die ehrlichste Haut heraus, die
man sich denken kann. Leutnant Cassio (Guntram Brattia), den verhaßten
Konkurrenten, und Rodrigo (Kay Schulze), den bornierten Edelmann, behandelt er
zynisch fast offen heuchlerisch. Seine Ehefrau Emilia (Ulrike Krumbiegel)
belfert er nur an. Und wenn er an die Rampe tritt, um vor Publikum mit sich zu
Rate zu gehen, nimmt er höflich den Helm ab. Frappierend, daß dieser Jago nicht
billig nur ein ausgemachter Schurke ist, sondern ein raffinierter Kerl vom
Schlage eines Richard III., der verständliche Gründe für sein Handeln glaubhaft
zu nennen weiß. Der Kerl kennt das Leben. Wenn der Mohr arglos von ihm
erwartet, wirklich ehrlich zu sagen, was er denkt, reagiert er mit sarkastischem
Hohn.
Was den Herrn betrifft, den Othello, so tritt der als
nobler Gentleman auf, der Desdemona (Cornelia Schirmer) nicht aus elementarer
Liebe, sondern aus so etwas wie rational-ethischem Kalkül zur Frau haben will.
Jörg Gudzuhn - rabenschwarz das Antlitz, gestylt zottelig das Haupthaar,
untadelig die weiße Uniform - kreiert einen betont bedächtigen, exotisch
ritterlichen Mann, der, abgesehen von dieser oder jener drastischen Schimpfe,
durchweg larmoyant selbstbewußte Statements säuselt. Er scheint befangen, wenn
nicht gar gefangen in einer weltfremd anmutenden Haltung von geradezu
ätherischer Lauterkeit. Der Schauspieler kocht den immensen Widerspruch seines
Helden zwischen Barbarei und Zivilisation auf zu sparsamer Flamme. Kein
orientalischer General von faszinierender Männlichkeit also, sondern ein
rechter Traumtänzer, zu unwahrscheinlich selbst für ein Märchen aus
Tausendundeine Nacht.
So brillant Gudzuhn fragwürdiges Handeln - siehe
Taschentuch - immer wieder spöttisch bricht, im Grunde wird hier eine
klassische Kunstfigur demontiert. Zu ironisieren wäre schon die auch bei
Shakespeare obwaltende theatrale Einfalt (die übrigens von Richard Platter
merklich gefördert wird, dessen Übertragung Lang für seine Spielfassung benutzt).
Aber glattweg Othellos urkräftige Natur zu leugnen, den leidenschaftlich
liebenden und hassenden Mann, geht an die Substanz der Tragödie und macht den Helden
zum Trottel. Ist er's?
Neues
Deutschland, 17. September 1998