„Oleanna“ von David Mamet am
Schauspielhaus Zürich, Regie Jens-Daniel Herzog
Eine demokratische Intrige
Die Organisatoren des Theatertreffens Berlin haben - Symbolik! - das hölzerne Spiegelzelt, den allabendlichen Treff der Künstler und ihrer Zuschauer, von der Westberliner Schaperstraße vor's Deutsche Theater verlegt. Ansonsten wurde das Ereignis von 20 auf 13 Tage gekürzt. Das war's denn. Eine geistige Erneuerung ist nicht in Sicht. Woher auch sollte sie kommen? Etwa von deutschsprachiger Dramatik?
Die Versuche des Nachwuchses sind
nach wie vor - und immerhin! - auf den „Stückemarkt" verwiesen, wo junge Autoren
einen ihrer Texte von Profis vorgelesen bekommen. Albert Ostermaier, Werner Fritsch,
Matthias Zschokke, Gundi Ellert und Thomas Jonigk sind die Glücklichen. Sehenswerte
Inszenierungen jedoch haben die Theater in den alten und neuen Bundesländern,
in der Schweiz und in Österreich offenbar nicht zu bieten.
Was lassen sich Jury und Organisatoren
einfallen? Sie eröffnen mit der Schweizer Erstaufführung eines Amerikaners, mit
dem inzwischen in London, Wien und Berlin bekannten Schauspiel „Oleanna"
von David Mamet in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog am Schauspielhaus
Zürich. Nun mag in Deutschland theatraler Nachhilfe-Unterricht in Demokratie,
sprich in amerikanischer Lebensweise, immer aktuell sein. Just lese ich, daß
die frühere Staatsangestellte Paula Corbin Jones in Arkansas Klage wegen
sexueller Belästigung gegen US-Präsident Clinton eingereicht hat. Der damalige Gouverneur
habe sie, eine Untergebene, 1991 in einem Hotelzimmer in Little Rock gegen ihren
Willen berührt und Sex gewollt. Wahrheit? Erfindung? In „Oleanna" zieht
eine College-Studentin gegen ihren Professor vor Gericht. Allerdings wird
sich Mamet ärgern, sein Stück schon gefertigt zu haben. Denn Paula gegen
Clinton wäre natürlich marktwirtschaftlich gesehen...
Jedenfalls mal wieder ein Hauch
freier Welt unmittelbar von der Bühne! Anders als Johanna Schall in Berlin (ND
vom 27.4.94) inszenierte Herzog mit dem widersprüchlichen, sehr unterschiedlich
auslegbaren Text vor allem die Verlogenheit der Studentin. Leslie Malton hat
im ersten Teil eine ausgesprochen naive Pute zu spielen, in sich hineingeduckt,
dann panisch herumhupfend, eines jener unverstandenen, von Männern übersehenen Fräuleins,
die in ihrer Verzweiflung Kommunikation erzwingen wollen. Sie hat Erfolg.
John, der Professor, ein wissenschaftliches
Original, sträflich leutselig, „think!" auf seinem Shirt, die Beine auf
dem Schreibtisch, leger unkonzentriert bis in die Sprache, was Edgar Selge
vorzüglich vorführt, John nimmt sich die Zeit, Carol zusätzlich zu unterrichten.
Und er legt der hysterischen Ziege doch tatsächlich die Hand auf die Schulter.
Was sie im zweiten Teil, nun aggressiv und dogmatisch rechthaberisch, als
Vergewaltigung deutet.
Der Zuschauer weiß, daß das eine Lüge
ist. Wahrscheinlich hofft er, nie Opfer solch demokratischer Intrige zu
werden.
Neues Deutschland, 9. Mai 1994