„Nora“ von Henrik Ibsen am
Nationaltheater Weimar, Regie Leander Haußmann
Tod im Puppenheim
Henrik Ibsen, dem Wegbereiter des psychologischen Naturalismus, kann schwerlich vorgeworfen werden, bei seinem Drama „Ein Puppenheim (Nora)" nicht gründlich gewesen zu sein. Was aber geschieht, wenn ein Regisseur noch ausführlicher sein möchte im beredten Detail? Leander Haußmann hat es am Nationaltheater Weimar mit geradezu lausbübischer Spielfreude versucht und sich dafür beim 28. Theatertreffen Berlin Bravos und Buh-Rufe des Publikums eingehandelt.
Was der junge Regisseur bietet, ist nicht nur
eine beachtliche Phantasieleistung, es ist auch ein Gesellenstück im
spielerisch-gewitzten Auskosten der Situationen.
Im Grunde ist es überflüssig, wenn der
Dienstmann zum Trompeter für's Kostümfesttraining avanciert. Oder wenn die
Kinderfrau (Linde Sommer fabelhaft) mit Versen aus dem Struwelpeter
Pausenunterhaltung macht, wenn realistische Dialoge zu naturalistischem
Alltagsgeplapper zerredet werden.
Aber es hat seinen Reiz, wie scheinbar
unbekümmert Haußmann mit der Story umgeht und sie auf den Punkt bringt. Seine
Nora kommt aus Helmers Puppenheim nicht heraus. Nach dramatischem Kampf, weil
er sie am Weggehen hindern will, erschießt er sie. Das ist zum Thema schon ein
recht bemerkenswerter Kommentar aus einem der neuen Bundesländer, wo derzeit
die Noras reihenweise zurück an den Kochtopf kommandiert werden.
Steffi Kühnert, ein wahres Energiebündel,
gibt Frau Helmer mit ungestümer Vitalität. Mit leicht abgeducktem Kopf stemmt
sich dieses naive Weib gegen sein Schicksal. Noras Lavieren zwischen Hoffen auf
ein Wunder und verzweifelten Versuchen, das drohende Unheil abzuwenden, hat eindrucksvolle
Szenen. Bis zur Verstörung, bis zum Erbrechen tanzt sie Tarantella. Bis zur
Erniedrigung fast kämpft sie gegen Assessor Krogstadt (Dirk Nocker ungelenk diabolisch).
Und immer wieder überspielt sie mit Schabernack ihre mißliche Lage. Sie ist
ihrem Gatten das gefügige Eichkätzchen, das dieser Helmer (Peter Rauch) ganz
ohne Zweifel inständig liebt. Im Kostüm eines schneidigen Toreros und leicht
angetrunken, führt er seiner Frau vor, wie sehr er sie mag, wie großzügig er
über Krogstadts Brief hinweg sehen kann. Bis er ihn schließlich doch liest —
und Noras erhofftes Wunder ausbleibt.
Die Aufführung im Bühnenbild Franz Havemanns
— bescheidener Luxus eines gutbürgerlichen Wohnzimmers um 1875 — erzählt
ansonsten deutlich, wie betriebsam konsequent die Menschen in Helmers Heim
aneinander vorbei leben, einschließlich der Kinder, die von der Kinderfrau zu
willigen Staatsbürgern gedrillt werden. Einmal nur gehen zwei direkt aufeinander
zu: als Frau Linde (Martina Schumann) und Assessor Krogstadt für einen Moment
eine Liebe leidenschaftlich nachzuholen versuchen, die sie ihm versagt hat.
Eine Inszenierung mit Haken und Ösen.
Aber ein Erfolg in der Freien Volksbühne schon. Den Buh-Rufern sei
widersprochen.
Neues
Deutschland, 15. Mai 1991