„Die arabische Nacht“ von Roland
Schimmelpfennig an der Schaubühne Berlin, Regie Tom Kühnel
Das Treppenhaus hoch und herunter
Ein Einfall für ein Dramolett ausgewalzt auf eineinhalb Stunden. Dank der behutsam-genauen Regie von Tom Kühnel und dank präziser Schauspieler immerhin einigermaßen vergnüglich. Die ersten etwa dreißig Minuten sogar amüsant, weil frisch und ungewöhnlich in der Idee.
Hausverwalter Lomeier (Thomas Bading) wundert sich über fehlendes Wasser in den oberen Stockwerken eines Wohnhochhauses. Er kommentiert zugleich sein Tun, nämlich nach rauschendem Wasser zu forschen und über Hausbewohner zu räsonieren. Und Fatima Mansur (Justine del Corte), eine arabische Mieterin, die mit drei Einkaufstüten nach Hause kommt, macht das ebenso - herumhantieren und ihr Denken und Handeln beschreiben. Auch die in ihrer Wohnung noch eben schlafende Franziska (Anne Tismer) mischt sich auf diese Weise ein, nachdem Fatima bei ihr geklingelt hat.
Simultan ineinander verschachtelt also drei Handlungslinien sowie die jeweiligen Kommentare. Roland Schimmelpfennig, Hausautor der Schaubühne, Spezialist für supernaturalistische Texte, fabuliert kreuz und quer, sozusagen das Treppenhaus mehrfach hoch und wieder herunter, das Jan Pappelbaum geschickt mit einer Wohnungstür in die Berliner Schaubühne gestellt hat.
Doch wohinaus mit dem Einfall? Schon während
der nächsten etwa dreißig Minuten wird klar, dass die kleinen Vertracktheiten
des Alltags nicht ausreichen. Fehlendes Wasser, klemmender Fahrstuhl,
herunterfallende Schlüssel füllen keinen Theaterabend. Da muss Franziska in die
Badewanne und ein Hausnachbar Peter (Charly Hübner) her, der aus der Ferne von
gegenüber neugierig zuschaut und so fasziniert ist, dass er losgeht und bis in
die Wohnung vordringt, wo Franziska inzwischen tief schläft und zu träumen
anfängt. Währenddessen hat sich Fatima ausgeschlossen, weil sie ihrem Freund
Kalil (Ronald Kukulies) entgegengehen wollte, der, was sie nicht weiß, im
Fahrstuhl festklemmt. Da Regisseur Kühnel immer wieder auf genaues Spiel insistiert,
einen verschlungenen, hintersinnigen Reigen liebenswürdig trunkener Fantasie,
hat das durchaus seinen Unterhaltungswert.
Aber der verflüchtigt sich leider im letzten
Drittel. Nicht weil sich Traum der Franziska und Wirklichkeit der übrigen Figuren
schier unentwirrbar ineinander verflechten. Nein, weil des Autors Anleihe bei unausgegorenen
Pennäler-Sehnsüchten das Spiel erbärmlich platt macht. Kalil, Fatimas Freund,
gerät nicht nur unter die nackt in Istanbul traumwandelnde Franziska, was ihm
Fatima messerstechend übelnimmt. Er gerät außerdem für eine gute Viertelstunde
kopulierend an eine imaginäre Frau, und Peter in Franziskas Kognakflasche.
Während Hauswart Lomeier, noch immer Wasser suchend, inzwischen glaubt, in der
Wüste zu sein. Wo er aber Franziska findet. Denn die hat inzwischen ihren
Rausch ausgeschlafen. Der Einfall verkümmert zu einem Stehkonvent schwafelnder
Schemen. Selbst Tom Kühnel ist hilflos.
Neues
Deutschland, 2./3. Juni 2001