„Minna von Barnhelm“ von Lessing im
Schiller-Theater Berlin, Regie Katharina Thalbach
Keine Spur von „Soldatenglück“
Die keck umgedichtete Aria „Heute noch, lieber Teilheim, tut es doch!" aus Bachs Kaffee-Kantate ist das amüsante Leitmotiv in Katharina Thalbachs Inszenierung der Lessingschen „Minna von Barnhelm" im Berliner Schiller-Theater. Eine attraktive, robuste, ordinäre, launige und mannstolle Minna aus Sachsen ist scharf auf einen dickleibigen Militär, dem preußische Borniertheit aus allen abgewetzten Uniform-Knopflöchern dringt, den in Sachen Ehre allein die Kränkung wegen seiner Geldgeschäfte fuchst und der im übrigen ganz offenbar im Bett recht gut zu Gange ist.
Eine grandiose Aufführung. Ein auf
den Abend hochmotiviertes Ensemble spielt den rationalen Lessing perfekt, als
hätten sich im klassischen deutschen Lustspieldichter ein Goldoni und Molière
potenziert und als hätte obendrein schon damals Brecht ständig über die
Schulter geschaut. Mit unvergleichlicher, souveräner Spottlust wird das
„Soldatenglück" demontiert, die Gier auf gewinnbringenden Krieg in Persien
persifliert. Glänzend hierin Peter Lohmeyer als kantiger Wachtmeister Werner.
Im Wirtshaus kobolzen Kriegskrüppel als
dienstbare Geister, die süchtig hecheln, wenn von Mord und Totschlag die Rede
ist, die wie böse Ratten im Dunkeln hocken und hervorbrechen, wenn auf der Tafel
Speisen übriggeblieben sind. Der Wirt pfeift sie immerfort von der Bühne. Bei
Michael Maertens ein glatzköpfiger, kauzig fideler Anpasser.
Eingerahmt wird die Szene (Bühnenbild Igael
Tumarkin) von einem goldenen Portal, auf dem Kriegssymbole aus dem Mittelalter und
der Neuzeit prangen, ein plastisch-dekorativer Gegensatz zur amourösen
Kantaten-Aria. Im übrigen ist ein großes, martialisch verziertes Himmelbett das
Hauptrequisit des Abends. Auf diesem Bett tummelt sich Minna in hoffnungsvoller
Lust wie auf einem Trampolin. Dorthin zieht es sie, wenn der Geliebte zur Tat
bereit zu sein scheint.
Ist der preußische Moralkodex je so gnadenlos
ironisch hinterfragt, sind die Kapriolen Minnas und Tellheims um Liebe und Ehre
je so unmittelbar, so drastisch, so komödiantisch ausgespielt worden wie jetzt
unter Katharina Thalbachs Regie? Diese Künstlerin hat einen Sinn für
urwüchsiges Theater, für Dynamik der Sprache, für genau abgestimmte Handlung,
wie er elementarer nicht zu haben ist.
Die Titelgestalt besetzte sie mit der
korpulenten Sabine Orleans, einer vitalen Frau, die die Minna als ein
leidenschaftliches junges Weib gibt, das sich von seinem Liebeshunger nach
Preußen treiben ließ und das nun mit militanter Courage um sein Glück streitet.
Die äußerlich blaustrümpfige, verborgen lüsterne Franziska (Christina Graefe)
herrscht sie an, so es ihr paßt. Dem Tellheim
schmettert sie eine Portion Sauerkraut ins Gesicht, weil der sich verbiestert ziert.
Fast ist der Major zu verstehen. Die Gunst
dieses Frauenzimmers ist gewiß keine reine Freude. Oliver Sterns Tellheim
scheint zunächst ein Grandseigneur schön gesetzter Rede. Doch dann ist er
zunehmend erbärmlich, komisch verstrickt ins ernst genommene gesellschaftliche
Reglement und in Minnas Attacken. Ein Mann, der einen gesunden Menschenverstand
gerade noch zusammenzuhalten vermag, der aber schon mal ausflippt und ganz ohne
Komment über alle Stände und eigentlich alle Welt höhnisch lacht. Das ist en
passant pointiert sarkastisch. Wie auch das Erscheinen des Feldjägers (Joachim
Schönfeld) als Götterbote, der ein güldenes königliches Füllhorn über Tellheim
ausschüttet.
Wie ein illustrer Nachfahre des Arlecchino,
des legendären Lustigmachers, tändelt Just (Guntbert Warns) durch das Stück.
Heruntergekommen, mit zotteligem Haar und offenem Hosenstall ist er eine wahre
Provokation. Ständig spuckt er hämisch aus. Ständig feixt er hintergründig.
Einer, der den Zirkus dieses Lebens nur zu gut durchschaut. Wie auf seine Weise
der clevere Riccaut de la Marliniere (Markus Völlenklee).
Ovationen im Schiller-Theater.
Neues
Deutschland, 26. Juni 1991