„Die Braut von Messina“ von Schiller an der Freien Volksbühne Berlin, Regie Ruth Berghaus

 

 

 

Schiller im Opernduktus

 

In der Freien Volksbühne Berlin (West) offeriert ein Gast-Team aus der DDR Friedrich Schillers selten gespielte Tragödie „Die Braut von Messina". Bühnenbildner Peter Schubert baute einen zweigeteilten, in dunklem Rot und in Schwarz gehaltenen und plastisch ausgeleuchteten Guckkasten mit Auftrittsmöglichkeiten von allen Seiten: ein geschmackvoller, neutraler Spielraum mit einem Schlagzeug-Ensemble für zwei Interpreten im Bühnenzentrum.

Texter Karl Mickel schrieb die Chöre um. Nach Paul Ernst gehören die Schillers zum Gewaltigsten, das je von der Bühne herab erklungen ist. Aber Schiller paßte nicht ins Konzept. Die Chöre sollten vertont werden. Immerhin war ja schon im antiken Theater der Chor mehr gesungen denn deklamiert worden. So sorgte Mickel für lakonische Verse. Und Paul-Heinz Dittrich für polyphone Strukturen. Dabei kalkulierte der Komponist von vornherein ein, daß Textverständlichkeit nicht immer gegeben sein würde. Was ich bestätigen muß.

Auch die Regisseurin, Ruth Berghaus, die Schillers Text als Opernlibretto behandelte, überlas, daß Schiller in seinem Hinweis „Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie" ausdrücklich Unterhaltung angemahnt hatte. Der Zuschauer sei unzufrieden, meinte der Dichter, „wenn man ihm da eine Anstrengung zumutet, wo er ein Spiel und eine Erholung erwartet".

Nun kann dem Zuschauer heutzutage durchaus ein wenig Anstrengung auferlegt werden. Und Ruth Berghaus hat, das sei attestiert, ein Spiel arrangiert. Sie hat sogar — wie Schubert, Mickel und Dittrich auch — allerhand getan, um dem Dichter gerecht zu werden. Just mit dieser Tragödie hatte er alle Illusion im Theater meiden, dem Naturalismus den Krieg erklären und mit seiner phantastischen Konstruktion ganz und gar idealer Poesie dienen wollen. Er hatte seine Figuren mit einem lyrischen Prachtgewebe umgeben und versucht, das Ideale und das Sinnliche zusammen wirken zu lassen. Genau da liegt die Crux der Inszenierung, leidet mögliches Vergnügen.

Bei Ruth Berghaus stellt sich die Synthese nämlich nicht her. Ihre sinnlichen, von reicher Phantasie genährten Bilder überwuchern ständig die Gestalten idealer Tragödie. Ihre Einfälle illustrieren die Vorgänge, statt sie zu kreieren. Außerdem läßt sie fortwährend am Rande oder im Hintergrund der Bühne irgendwelche formalisierte Aktionismen geschehen, die von der Fabel weg- statt zu ihr hinführen. Allzu oft wird der Zuschauer mit Spitzentanz-Schritten (der Ältesten von Messina), Kleiderwechsel (des Chores) oder gewaltigen Bühnengängen (der Protagonisten) abgelenkt statt auf Schillers Text konzentriert.

Der Dichter verhandelt ja nicht nur die fatale Tragödie der Fürstin Isabella von Messina, deren Söhne Don Manuel und Don Cesar sich befeinden, sich versöhnen und sich umbringen wegen ihrer Liebe zu Beatrice, die ihre Schwester ist, was sie zunächst nicht wissen. Schiller nutzt den Fall, um philosophisch in Tiefen zu loten, wo drunten bereits modern anmutende Fatalismen zu keimen scheinen: Redlich wollten wir den Frieden, aber Blut beschloß der Himmel, heißt es da. Oder: Nicht Sinn ist in dem Buche der Natur!

Solche Sentenzen — wie überhaupt die reine, helle Schillersche Sprache — stehen nicht im Zentrum der Inszenierung. Was vielleicht auch nicht sein muß. Obwohl ich's schön gefunden hätte. Hier wird des Dichters Textangebot mit perfektem ästhetischem Anspruch einem Opernduktus untergeordnet. Dittrichs Musik ist insofern integrant und selbständig zugleich. Und die Chöre führen ihr formales Eigenleben. Aber auch alle Figurenbeziehungen sind formalisiert. Selten sind sie konkret, etwa wenn die Brüder die Erzählung ihrer Mutter abgewandt und aufmüpfig quittieren. Solche Momente schauspielerischen Handelns sind gelegentlich von feinem Humor. Und sie erinnern an Schiller. Aber sie sind die Ausnahme.

Elisabeth Trissenaar, eine exzellente Sprecherin, ist als Donna Isabella vor allem eine rührend besorgte Mutter, freilich mehr umgängliche Dame denn leidende Tragödin. Ausgezeichnet auch Ingo Hülsmann als Don Cesar, ein Schauspieler, der den Vers nicht nur formal kräftig zu artikulieren, sondern auch emotional zu erschließen vermag. Welchen Eindruck ich von Lilian Naef (Beatrice) und Marcus Bluhm (Don Manuel) nicht habe. Der Chor von vierundzwanzig Männern, immer in Bewegung, immer neu in den Haltungen, stimmlich präsent und genau, prägt die exklusive Eigentümlichkeit der Aufführung mit.

Anhaltender Beifall des Publikums am Schluß der Vorstellung, die ich sah.

 

 

 

Neues Deutschland, 19. Februar 1990