„Der Meister und Margarita“ nach Michail Bulgakow an der Volksbühne Berlin, Regie Siegfried Höchst

 

Cornelia Schmaus, Michael Lucke, Rolf Ludwig

 

 

 

Spiel vom uralten Drang nach Erkenntnis

 

Einmal wieder erleben wir den kühnen Versuch, epische Weltliteratur auf das Theater zu bannen. Die Berliner Volksbühne zeigt in einer von Heinz Czechowski (1935) gefertigten Fassung Michail Bulgakows phantastischen Roman „Der Meister und Margarita", an dem der 1891 geborene sowjetische Schriftsteller von 1928 bis zu seinem Tod im Jahre 1940 gearbeitet hat.

Bulgakow griff die uralte menschliche Sehnsucht nach einem „Reich der Wahrheit" auf, prüfte und kommentierte sie in expressionistischer „O Mensch "-Leidenschaft, fragte nach aktueller Gültigkeit und gab in dialektisch-realistischer Vision die Antwort, daß das Ringen des Menschen um Wahrheit und Erkenntnis ewig so relativ bleiben wird wie der menschliche Fortschritt.

Als ich das Buch las, faszinierte mich die souveräne Handhabung parodistischer Ironie, mit der der Dichter in Verfolg seines Themas Leben und Streben historischer und fiktiver Figuren — des römischen Statthalters in Judäa, Pontius Pilatus, des Jeschua aus Nazareth, des Satans samt bizarrem Gefolge — mit dem des „Meisters", eines Schriftstellers seiner Tage, verknüpft. Solche Faszination blieb der durchaus stilkräftigen Inszenierung von Siegfried Höchst allerdings versagt.

Gewiß, das vielschichtige Panorama des Romans, reich an drastischen und urkomischen Episoden, mußte für die Bühne auf eine einigermaßen nachvollziehbare Fabel komprimiert werden. Insofern hat Czechowski durchaus die wesentlichen Stränge des Romans aufgegriffen, auch akzentuiert. Zu wenig — will mir scheinen — bedient er die historische Souveränität Bulgakows, dessen ungebrochenen Sinn für Daseinskraft, für Perspektive im Tragischen. Und Höchst fand kaum Mittel, die tragikomische Geschichte in Bulgakows überlegener, sarkastisch-heiterer Sicht zu erzählen. So wird, was der Dichter bereits vor einem halben Jahrhundert resümierend zu ironisieren wußte, noch immer durchweg bitter-grimmig genommen.

Der Teufel und seine Spießgesellen, die lebensfördernden, gleichsam plebejischen Elemente des Romans, ähneln hier eher einer unheilbringenden Gangsterbande. Friedrich-Wilhelm Junge als aalglatter Magier Voland läßt zwar spüren, mit welch locker-erhabener, kritischer Weisheit agiert werden könnte, aber da ist zugleich viel bärbeißiger, bieder-irdischer  Zorn. Reiner Heise trifft die rüde-clevere Nonchalance des Fagott. Herbert Sands Kater Behemot ist nicht zwingend weich und elegant, sondern widerborstig und stelzig. Und die Hexe Hella, beim Dichter der Inbegriff attraktiver, „behexender" sinnlicher Weiblichkeit, muß von Walfriede Schmitt als seltsam-häßlicher Zwitter absolviert werden.

Rolf Ludwig überzeugt als Meister — bei ihm ein gealterter Mann, der, geläutert durch bittere Erfahrung, auf Besonnenheit setzt. Cornelia Schmaus gibt eine Margarita, deren vitale Hingabe an den Geliebten keine Halbheiten zuläßt, sondern aus inniger Überzeugung strömt und sich mit samtig-kraftvoller Stimme äußert. Einprägsame Gestalten zeichnen Michael Lucke als Besdomny, Winfried Wagner als Pilatus, Joachim Tomaschewsky als Afranius und Werner Tietze als Conferencier.

Das turbulente Geschehen begibt sich auf der gelegentlich rotierenden Drehbühne, die, von Jochen Finke sozusagen klassisch genutzt, wechselnd Straßen, Gassen, Winkel, Zimmer zeigt. Das dient vorzüglich der Dynamik der Aufführung, läßt freilich auch Zusammenhänge vermuten, die dem Zuschauer, der den Roman nicht gelesen hat, zusätzlich Rätsel aufgeben mögen. Mithin: Bei aller Neigung, unseren Theatern für kühne Unternehmungen kritischen Beistand zu leisten — ich bin nicht gewiß, ob die teils schlüssige, teils verwirrende Bilderfolge höchst seltsamer Begebenheiten wirklich eigenständige theatralische Aussagekraft besitzt, die die Theaterleute anstreben.

 

 

 

Neues Deutschland, 31. März 1987