„Medea“ von Hans Henny Jahnn im Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Rolf Winkelgrund

 

 

 

Von Trieben, Tod und Leidenschaft

 

Im Berliner Maxim-Gorki-Theater versucht Rolf Winkelgrund, anerkannt als subtiler Inszenator, einen Regie-Spa­gat zwischen Castorf und Langhoff. Er desillusioniert Hans Henny Jahnns inbrün­stige Tragödie „Medea" (Pro­safassung 1924), führt deren literarische Banalitäten de­monstrativ verspottend vor, läßt gelegentlich unverständ­lich wispern, gibt dem Chor, den Sklaven des Hauses, Wei­berkleider und überhaupt weibische Süffisance, macht den Knabenführer (Eckhart Strehle) zum melancholisch-­sarkastischen Kommentator im Outfit eines unvollendeten Pierrots. Andererseits bemüht er sich, den Intentionen des Dichters nachzugehen.

Jahnn (1894-1959), über­zeugter Pazifist, zweimal aus Deutschland emigriert (1915 und 1933), wollte mit seiner archaischen Tragödie noch hinter die antiken Tragiker zurück, wollte Zeiten be­schwören, in denen sexuelle Triebe und mystische Zaube­rei den Menschen noch pur be­herrschten und Rassenunter­schiede schon grausam ausge­lebt wurden. Jahnns Medea ist eine Negerin, also deutlich eine Fremde in Korinth, eine Ausländerin, eine „Unterent­wickelte". Brutalität ist ihr einziges Mittel, sich zu be­haupten.

Dieser schicksalhaften Ver­strickung eines Weibes galt die werktreue Aufmerksam­keit der Regie. Medea, die Jason, dem Geliebten, einem Weißen, gefolgt war, die ihm mit Zauberkraft ewige Jugend und mit Naturkraft zwei ge­sunde Söhne geschenkt hatte, die nun aber, gealtert, von ih­rem Gatten mit der Tochter Kreons betrogen wird.

Anne-Else Paetzold stellt Medeas urwüchsig-elementa­re Weiblichkeit vor allem stimmlich her. Es ist schon er­staunlich, wie diese im Grun­de zarte, schmächtige Schauspielerin immer wieder alle Kraft mobilisiert, um bis zum äußersten getriebene robuste Leidenschaft überzeugend darzustellen. Sie tritt auf, ko­stümiert wie eine Negerin aus Harlem, wie eine verwetterte Bäuerin aus Mexikos Bergen, zeigt Alter, zeigt Verbitterung,

führt Kälte einer von ihrem Gatten verlassenen Frau vor und steigert sich in Haß und wilde Eifersucht. Wenn sie Jason Vorwürfe macht, färben Schärfe und Bissigkeit den Ton, wenn sie Versöhnung sucht, kann ihre Stimme sanft und samten sein. Das Spiel der Paetzold hält die Inszenierung zusammen, legitimiert die Aufführung.

Welche übrigens in einem Bühnenbild stattfindet (Hart­mut Meyer), das, expressionistisch-kubistisch gemeint, ganz nach Pappmache aus­schaut und nach verarmtem Stadttheater. Darin sich zu bewegen, provoziert die kon­ventionelle Gebärde. Die Ak­teure spielen dagegen an. Vor­züglich Nils Brück als der äl­tere Knabe. Ein Kabinettstück sein bildhafter, immer wieder komisch gebrochener Bericht von der Begegnung mit der Tochter Kreons zu Pferde. Maßlose, unschuldige, glück­liche Verwunderung über plötzliche Liebesleidenschaft, sarkastische Selbsteinschät­zung, trotzig herausfordernde Selbstbewußtheit gegenüber dem Vater. Der, Jason, ist bei Gottfried Richter ein aristokratischer Schönling, jung, männlich, verträumt. Wie sein jüngerer Sohn (Rolf Peter Kahl), den seine frühe Puber­tät in die Arme des Bruders treibt, bei welcher Gelegen­heit sie von der Mutter getötet werden. Barbarische Mittel der Barbarin. Sie wußte es nicht besser. Darum auch fin­det sie es normal, dem Boten Kreons (Ulrich Anschütz) die Augen ausreißen zu lassen, weil sie sahen, was sie nicht hätten sehen sollen.

Wenn des Königs Kreon pappige Kopfbedeckung vom wütenden älteren Knaben zerdrückt und dem rassistischen Herrscher (Reinhard Michalke) übers Haupt gestülpt wird, so daß der im Dunkeln steht, ohne sich zu wehren, bricht das desillusionierende Akzentsetzen der Regie einmal mehr, jetzt aber sehr deutlich weg in provinziellen Kla­mauk. Was bedauerlich ist. Der Spagat gelingt Winkel­grund nicht. Er sollte sich auf sich besinnen.

 

 

Neues Deutschland, 28. März 1994