„Medea“ nach Christa Wolf am theater 89 Berlin, Regie Rudolf Koloc
Die Unruhestifterin
Frei nach Motiven von Christa Wolf hat der junge Regisseur Rudolf Koloc (1991 mit »Die englische Geliebte« von Duras im 3. Stock der Volksbühne) den uralten Mythos von »Medea« für die Bühne bearbeitet und am theater 89 in Berlin als Uraufführung in Szene gesetzt. Die Lesart der Wolf - Medea als Gefahr für die politische Kaste, diskutiert bereits anhand ihres Romans »Medea. Stimmen« - nun also schaubar auf dem Theater.
Eine schöne Fremde in Korinth: Medea (Angelika Perdelwitz), von Jason
(Alexander Höchst) als Objekt der Liebe heiß begehrt, ansonsten von ihm an den
häuslichen Herd verwiesen. Sich gegen den Lauf der Zeiten aufzulehnen, urteilt
er, hat keinen Sinn. Doch Medea, beseelt von uralten Legenden, als der Besitz
gleichmäßig verteilt war, paßt sich nicht an. Sie wird zur Unruhestifterin,
bringt das Volk gegen die Herrschenden auf. So gerät sie in das Mühlwerk der
Politik. Anstifter ist Akamas (Dirk Wäger), willfähriges Instrument Agameda
(Claudia Jacob). Medea wird verbannt, ihre Kinder werden umgebracht. Jason
begreift zu spät.
Zuständig für den archaischen Spielort, welke Blätter
zwischen roten Portalen, war Martin Fischer, der die Akteure neuzeitlich
kleidete und ihnen gemäße Requisiten an die Hand gab. Was Regisseur Koloc nutzte,
um eine Synthese von modisch illustrierendem Spiel und mythische Zeiten
beschwörender Lautmalerei zu versuchen. Auffallend sofort das Engagement und
die sprecherische Versiertheit der kleinen Truppe. Hier wird gedanken- und assoziationsreicher, komplizierter
Text nicht einfach schön aufgesagt, hier wird nach Maßgabe der Vorlage beredt
gespielt, obzwar die Gestalten ständig mutieren, mal Figuren, dann eher Figuranten
sind. Eindrucksvoll die chorischen Auftritte von Angelika Perdelwitz, Marina
Erdmann, Christina Große und Claudia Jacob als Medea. Überzeugend Alexander
Höchst als der um Vermittlung bemühte Jason, wohllautig die Stimme, umgänglich
die Geste. Von intellektueller Wendigkeit Dirk Wäger als Akamas, von naiver
Unbekümmertheit Christina Große als Glauke. Und Angelika Perdelwitz als Medea
mit vollem rotem Haarschopf, nicht vordergründig eine exotische Fremde, gar
eine geheimnisvolle Zauberin, sondern Verkörperung eines selbstbewußten,
verführerischen Weibes, über die Zeiten hinweg ganz gegenwärtig.
Ein bemerkenswerter Abend, anerkennender Beifall.
Neues
Deutschland, 6. Mai 1997