„Mann ist Mann“ von Bertolt Brecht in
der Baracke des Deutschen Theaters Berlin, Regie Thomas Ostermeier
Glückliches Kanonenfutter
Behutsam, ein wenig romantisiert, hebt
der Abend in der Baracke des Deutschen Theaters an. Thomas Ostermeier, seit
»Fette Männer im Rock« und „Messer in Hennen« als neuer Regie-Senkrecht-Starter
gehandelt, läßt Packer Galy Gay in Brechts »Mann ist Mann« nebst Frau auf einer
Lore langsam am Publikum vorbeifahren und seine Absicht verkünden, einen Fisch
zu kaufen. Für Minuten entsteht der Eindruck, als werde die Lustspiel-Parabel
aus dem Jahre 1925 mit sorgfältig ausgestellten Haltungen in bewußt episch-zeigender Spielweise vorgeführt.
Doch dann knallt Jörg Gollasch eine wüst-krachige
Musik in die Baracke und die vier Soldaten einer Maschinengewehrabteilung
der britischen Armee in Indien (Martin Engler, Ronald Kukulies, Andre
Szymanski, Mark Waschke), die derb Galy Gay für ihre
Zwecke zur soldatischen »Kampfmaschine« umfunktionieren werden, starten eine
akrobatische Slapstick-Orgie, die nicht von schlechter Machart ist. Eigens antrainierte biomechanische Zeige-Elemente à la
Meyerhold (Co-Regie Gennadi Bogdanov) geben der Vorführung die Patina der
zwanziger Jahre. Ansonsten brettert die Regie - der poetischen Dialektik des
Textes doch nicht so ganz trauend? - die Angelegenheit mit brachialgewaltigem Übermut
auf die von Jan Pappelbaum als langen Steg eingerichtete Bühne.
Der Einsatz der jungen Akteure (darunter
Studenten der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, die soeben auf dem 8. Theatertreffen deutschsprachiger
Schauspielschulen in Zürich mit einem Projekt-Preis ausgezeichnet wurde) ist
kräftezehrend, so daß die Präzision leidet und manchmal am Rande des Klamauks
agiert wird. Das Spiel kippt nicht ganz, weil aller Aktionismus stets situativ
motiviert ausbricht, also eine gewisse Beredsamkeit behält. Auch weil kurze
Phasen besinnlichen Handelns ermöglichen, den roten Faden der Parabel in der
Hand zu behalten. So wird einerseits immer wieder brutalisiertes Militär
vorgeführt, andererseits von der stillen Einfalt erzählt, mit der dieser Galy
Gay sich für Bier und Zigaretten ködern läßt.
Tilo Werner als irischer Packer - eine
ideale Besetzung. Ein wirklich herzensguter Mensch, der nicht »nein« sagen kann,
also den Soldaten den Gefallen tut, sich beim Appell als ihr abhanden gekommener
Kamerad Jeraiah Jip auszugeben. Tilo Werner spielt anrührend, wie der Mann
Gefallen findet an der Schummelei und den Kopf ganz und gar verliert, als ihm
ein Geschäft mit einem Elefanten winkt. Dieser liebe Gay ist tragikomisch vom
geistigen Format derer, die glücklich sind, wenn sie Kanonenfutter sein dürfen.
Glänzend clownesk Falk Rockstroh als Sergeant
Charles Fairchild, genannt »Blutiger Fünfer«. Bleichgesichtig, rot die Augenränder,
zerknautscht der ganze Typ, immer wieder heimgesucht von kleinen Mißgeschicken,
buhlt er vergeblich um die Gunst der Kantinenbesitzerin Begbick (Petra Hartung)
und sorgt ansonsten grimmig-eifernd für militärische Zucht und Ordnung.
Ein erfrischend jugendlicher Ausklang
der Spielzeit 1996/97 im Deutschen Theater.
Neues
Deutschland, 3. Juli 1997