„Liliom“ von Franz Molnar am Thalia Theater Hamburg, Regie Michael Thalheimer

 

 

 

Schwach an Potenz

 

Kaum hat der »Hutschenschleuderer« Andreas die schmächtige Julie kennen gelernt, will er sie haben. Und wie macht das der bullige Liliom des Hamburger Thalia Theaters? Er fasst sich in die Hose, um sein schlaffes Ding in Gang zu bringen. Nach einigem Mühen packt er die neugierige Julie und presst sie an die Wand, aber so hoch, dass die Kopulation nicht klappen kann. Als er die angesichts solcher Stümperei überraschte junge Frau endlich auf seinem Schoß hocken hat, ist da inzwischen Ladenschluss. Legt er also wieder Hand an, doch nun klappt gar nichts mehr. Worauf Julie das große Mit­leid überkommt und ihm per handkundi­gem Zugriff die Sache erledigt. Was er ihr damit dankt, dass er ihr kulant ein saube­res Taschentuch reicht.

Eine Karikatur also dieser Liliom von Michael Thalheimer, dem Regie-Senkrecht-Starter der Saison. Nicht den neu­romantischen Frauenhelden des Ungarn Franz Molnar (1878/1952) präsentiert er, den zart besaiteten Raufbold, sondern ei­nen potenzschwachen Großkotz; der am Schluss, als ertappter Krimineller, noch einmal verzweifelt Hand anlegt, diesmal aber mit dem Küchenmesser, das er sich, ein zuckender, zappelnder Körper schon, so anschaulich wie ausgiebig in den Leib rammt (Peter Kurth mit akrobatischer Eloquenz). Das Zerrbild eines freiwillig aus dem Leben scheidenden Vagabunden.

Nicht Drama in sozialem Milieu mithin, Tragödie eines Arbeitslosen und seiner schwangeren Geliebten, auch nicht sen­timentales Mysterienspiel, sondern abst­rakte Demonstration des Mysteriums Le­ben. Drastisch, simpel, grob - Mann, Frau, Kind, Sense.

Zum Auftakt schaut Liliom keck minu­tenlang stumm ins Publikum, dann schlenkert er die Arme, als könne er sich damit alle Ärgernisse des Daseins vom Leibe schütteln. Mit ebensolchem Schlenker wird ihn seine 16-jährige Tochter Lui­se abschütteln, wenn er, vom Jenseits noch einmal zur Erde zurückgekehrt, Ab­bitte leisten will.

Mit ähnlich markanten, sich einprägen­den Posen warten auch die übrigen Ge­stalten auf. Julie (Fritzi Haberlandt) zieht in Abwehr der Welt ständig krampfhaft die Schultern zusammen, schaut aus wie ein zu lang geratenes scheues Hämeken, entpuppt sich als ausdauernd zäh, stur und liebestreu. Ihre Freundin Marie (Alexandra Henkel) schreitet breitbeinig ge­fällig daher, steht noch breitbeiniger, wenn sie dialogisiert. Karussellbesitzerin Muskat (Anna Steffens), die den treulosen Liliom aus Eifersucht entlässt, posiert mit Schenkel und Hintern hasserfüllt aggres­siv gegenüber der weiblichen Konkurrenz und haut gern auf dem Liliom herum, womit sie ihm und aller Welt ihre Sehn­sucht nach männlicher körperlicher Nähe kundgibt. Und der füllige Kerl lässt's ge­duldig über sich ergehen, schlägt nicht zu­rück.

Arg zusammengestrichen der Molnar! Hat man sich aber erst einmal von ihm verabschiedet und hineingeguckt in Thalheimers plakativ-theatrale Einförmigkeit, überrascht deren eigenwilliger ästheti­scher Reiz. Die Figuren, herausgelöst aus ihrer Welt und in eine monumentale Holz­kiste (Bühne Olaf Altmann) gestellt, be­haupten sich tapfer. Zwar verträgt sich ihr realistischer Text nicht mit der ungestischen Spielweise, weshalb er oft unverständlich heruntergehaspelt wird, doch die lakonische Demonstration der verknappten Handlung erzeugt Kurzweil. Neben den schon beschriebenen zwei Hö­hepunkten weitere szenische Bonmots. Etwa die einfältig nette Tour, mit der Marie ihre innige Liebe zu Hugo (Benjamin Utzerath) veranschaulicht. Oder der dilet­tantische, prompt verunglückende Raubüberfall Lilioms und seines Kumpans Ficsur (Markus Graf) auf den Geldboten.

Eine sachlich-prosaische Fallstudie, behutsam karikiert: Mittellose kleine Leute finden sich zwar mal kurz zusam­men, um Kinder zu zeugen, ansonsten ha­ben sie nichts miteinander zu tun. Das Le­ben rattert über sie hinweg wie die Flut der Piktogramme, die auf sie einstürmt, verwirrend, selten wirklich zu entschlüs­seln, hier zu jagenden Rock-Rhythmen auf die Wand projiziert.

In Hamburg zur Premiere hatte es Que­relen gegeben. Das Berliner Publikum, einiges gewöhnt an echtem und vermeintli­chem Avantgardismus, war einverstan­den.

 

 

 

Neues Deutschland, 9. Mai 2001