„Liebelei“ von Arthur Schnitzler am Schlosspark-Theater
Berlin, Regie Heribert Sasse
Futter für die Seele
Gefühl, »Futter« für die Seele, wo gibt's das noch? Das Berliner Schlosspark-Theater bewährt sich als ein echter Dienstleister. Heribert Sasse, Chef und Regisseur des Hauses, liefert Emotionen ausreichend für einen Abend. Mit dem rund hundert Jahre alten Schauspiel »Liebelei« des Österreichers Arthur Schnitzler (1862/1931) bietet er, angereichert mit liebenswerter Sentimentalität, obendrein geradezu klassisch gediegenes, handwerklich gekonntes Milieu-Theater.
In möglichst echt wirkender Behausung (Bühnenbild
Frank Wisniewski) erzählt Sasse einfühlsam vom Menschen, von dessen
Liebes-Hoffnungen und -Enttäuschungen und hält sich mit Kritik tunlichst zurück.
Das heißt, er meidet moderne Techniken wie szenische Verfremdung, scheint also
arg konventionell, ist dennoch wirkungsvoll, regt an und nährt das ausgehungerte,
verödete Gemüt seiner zeitgenössischen Zuschauer.
Verlieben tun sich junge Leute
bekanntlich auch noch heute! Und erste Kontakte und Zärtlichkeiten, die ein
naives Herz für Liebe halten mag, sind aus der Sicht des Partners auch
heutzutage möglicherweise nicht mehr als Liebelei. Die Christine aus
Schnitzlers Schauspiel, verwöhnte Tochter des Violinspielers Hans Weiring vom
Josefstädter Theater, vernarrt sich in den Studenten und Reserveleutnant Fritz
Lobheimer, den Sohn eines reichen Gutsbesitzers, der es sich leisten kann, nur
gelegentlich eine Vorlesung zu besuchen, ansonsten ledigen oder verheirateten
Frauen nachzusteigen.
Mit dieser Wendung ins Kritische bringe ich
in punkto Fritz denn doch eine Draufsicht ein, die - wie bereits angemerkt - vom
Regisseur nicht bedient wird. Auch die wahrhaft himmlische Naivität der Christine
hätte einen leicht sarkastischen Touch verdient; denn so unaufgeklärt die Zeiten
im Wien der Donaumonarchie auch gewesen sein mögen, ein bisschen mehr Durchblick
in Fragen männlicher Treue und Sprüche wäre der Jungfer zu wünschen.
Aber rechten wir nicht! Der Mensch in seinem
Liebestriebe ist sich des rechten Weges selten bewusst. Und warum sollte Schnitzler
im Theater verfremdet geboten werden, wenn er pur und werkgetreu schön direkt
an die Seele geht, diese vom Theater derzeit vernachlässigte Region. Heribert
Sasse weiß das sehr wohl. Er lässt die Figuren ganz und gar in ihrer Welt und
spürt mit Akribie und großem Verständnis ihre innersten Regungen auf. Kein
gesellschaftliches Gehabe, keine aufdringliche Manier, stets anrührende Unmittelbarkeit.
Vielleicht hier und da ein wenig zu ausführlich, zu umfangreich im Detail.
Wobei Schauspieler zur Verfügung stehen, die Sasse zu einem ausgezeichneten
kleinen Ensemble besetzt hat.
In Fritzens Zimmer bürgerlicher Wohlhabenheit
tummelt sich Wiener Ausgelassenheit, räkelt sich angenehme Gemütlichkeit,
mitgebracht von Mizi und Theodor zur abendlichen Studenten-Fete. Und zugleich
lastet da irgendein Verhängnis in den Ecken. Man ahnt es, man spürt es, Fritz
schleppt es herein in Gestalt seines aufgestörten, schlechten Gewissens. David
Oberkogler gibt den Fritz Lobheimer mehr als steifen, unbeholfenen Reserveleutnant
denn als lässigen Studenten. Dass er eine Affäre mit einer Ehefrau haben soll,
überrascht fast. Aber kenne sich einer bei den verheirateten Frauen aus! Zumal
die hier im Spiele befindliche Dame der feinen Gesellschaft bei Schnitzler gar nicht
auftritt. Der hintergangene Mann (Marcello de Nardo) indessen, der bei Fritz
auftaucht, scheint ein vertrocknetes Eheregime zu führen, so dass die Sehnsucht
von dessen Frau nach einem frischen Blut verständlich ist.
Wiener Flair und fesche Laune - wie gesagt -
bringen Emese Fày als Mizi und Robert Hollmann als Theodor ein. Die Frau Fày
kreiert eine unbekümmert fröhliche, erlebnishungrige junge Wienerin, der Herr
Hollmann einen herrlich unbeschwerten jungen Genießer mit Charme und Herz. Bei
den beiden »läuft was«, und sie machen sich nichts vor. Christine hingegen
nimmt todernst, was von Fritz doch nur als Vergnügen gedacht ist. Kristina Bangert
trifft Geste und Ton dieses naiven »süßen Mädls«, führt es vor als total
fixiert auf das Gefühl für Fritz, unfähig, sich aus der emotionalen
Verstrickung zu befreien. Das heißt, sie spielt die Tragödie stets irgendwie
mit, den Schock, der über sie kommt, wenn sie erfahren muss, dass sich der von
ihr so vergötterte Fritz wegen einer anderen Frau zu Tode duelliert hat.
Bleiben noch Ingrid Mülleder zu nennen als
treuherzig-redliche Frau des Strumpfwirkers Binder und Heribert Sasse als
Christines Vaters. Er gibt ihn als umsichtigen, besorgten Witwer, der ahnt, was
die Tochter umtreibt. Wenn er ihr beredsam vor Augen zu führen versucht, wie wenig
im Grunde dazu gehört, um glücklich zu sein, rührt einen solch tapfer-unverdrossene
Naivität und stimmt melancholisch ...
Neues Deutschland, 25. April 2001