„Das Lachen und das Streicheln des Kopfes“
von Oliver Bukowski im theater 89, Regie Hans-Joachim Frank
Sauwohl im Tief
Schlammkämpfe zwischen Eheleuten sind
zumindest seit Martin Waisers „Zimmerschlacht" (1967) auf der Bühne nicht
neu. Oliver Bukowski aus Cottbus, Jahrgang 1961, bietet eine zeitgenössische Version.
Mit seinem „Salon"-Stück „Das Lachen und das Streicheln des Kopfes" - uraufgeführt am theater 89 in der Berliner Wilhelm-Pieck-Straße, Regie von Hans-Joachim Frank - vermittelt Bukowski den unerschöpflichen geistigen Schwachsinn, den Männlein und Weiblein im Verlaufe einer Silvesternacht zu verzapfen vermögen. Weil der Mensch halt ganz allgemein so beschaffen ist, ziemlich unabhängig von vor-, real- oder postsozialistischen Verhältnissen.
Der Autor geht nicht in soziale
Niederungen, etwa in Distrikte neuer Armut, sondern zu „potenten" Leuten,
die gute und reichlich Arbeit haben, dennoch „im Sinnvakuum treiben und Halt
suchen“ und nicht finden. Während draußen die Neujahrs-Raketen hochgehen,
erleiden zwei Ehepaare ein seelisches Tief nach dem anderen und fühlen sich im
Grund sauwohl dabei.
Gastgeber Franz und Ruth sowie ihre Gäste
Jasper und Mo machen sich Komplimente, schwelgen in Erinnerungen, öden sich an,
beargwöhnen sich, streicheln sich, kotzen Frust aus, lachen laut, lachen leise,
betrinken sich, befummeln sich, schneiden sich schon auch mal eben die Pulsadern
auf, „trinken" Blei, spielen Sterben und essen Schmorbraten. Eine eigenbrödlerische
Schau auf Nabel und Geschlecht. Assoziiert wird Zweck- und Ziellosigkeit bürgerlichen
Daseins. Sichtbar wird eine makabre geistige Leere der Köpfe, in die, hoffentlich
übertreibe ich, Nationalismus zu stoßen droht. Plötzlich ist das Stück verblüffend
aktuell.
Der junge Autor, der seit 1989 sieben
Stücke geschrieben hat und inzwischen in Schwedt, Köln, Magdeburg, Berlin,
Potsdam, Frankfurt/Oder sowie in seiner Heimatstadt gespielt wird, scheint der Geheimtipp
für die derzeitige Befindlichkeit deutschen Gemüts. Jedenfalls füllt er eine
Marktlücke im Stückeschreiber-Geschäft. Anders als dieser oder jener Texter,
der sich die Welt abstrakt zurechtrückt, um sie ertragen zu können, spielt
Bukowski konkret mit dem Menschen, zeigt ihn naturalistisch, wie er ist, und
absurd, wie er auch ist. Dabei reiht er Effekt an Effekt. Die Handlung zerfällt
sozusagen in Werbespotts des Fernsehens und bedient die gewönliche
Sehgewohnheit derer, die gekommen sind und nun weder um- noch abschalten
können.
Hoffen wir, daß sich die Effekthascherei
nicht völlig in einen Kult des Nihilistischen auflöst. Was wahrscheinlich nicht
der Fall sein wird, wenn Bukowskis Texte so souverän interpretiert werden, wie
das unter Franks Regie geschieht. Nichts wird chargiert, stets gibt's direktes,
einfühlsames, phantasievolles und pointiertes Spiel. Das läßt sich bei diesen
bröseligen Dialogen so locker, so beredt und so genau nur mit Akteuren
herstellen, die schöpferisch zu improvisieren verstehen.
Heike Jonca gibt die kapriziöse, so
lebenslustige wie müde Architektin Mo mit sprödem Charme sehr gelöst, sehr
einnehmend. Gabriele Heinz als Wissenschaftlerin Ruth ist eine mit reicher Weiblichkeit
Verständnis und Fürsorge ausstrahlende Gattin des Franz, den Eberhard Kirchberg
als ein wenig kautzig, ein wenig pingelig differenziert darstellt. Thomas Pötzsch,
mimisch und gestisch agil, ist der temperamentvolle Ehemann Jasper, ein etwas
verbrauchter Liebhaber, an dem Mo hängt, obwohl er angeblich ständig zu seinen
Huren rennt.
Das Geschehen ist geschickt in die
Räumlichkeiten des theaters 89 disponiert (Bühne und Kostüme Anne-Kathrin Hendel)
und hat immer Geschmack im Umgang mit Menschlichem.
Neues
Deutschland, 20. Oktober 1992