„Der zerbrochene Krug“ von Heinrich
von Kleist im Deutschen Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff
Eve will Ruprecht nicht als Krieger sehen
Die Gerichtsstube zu Heinrich von Kleists „Zerbrochenem Krug" im Deutschen Theater Berlin (Bühnenbild: Pieter Hein) hat Geräumigkeit wie jene auf Jean Jacques Le Veaus Kupferstich, der den Dichter zu seinem Lustspiel angeregt haben soll. Und Regisseur Thomas Langhoff entwirft mit bewährt akribischer Hand ein niederländisches Sittenbild im Stile flämischer Genremalerei. Fast erscheint er manchmal zu ausführlich im Detail, zu gründlich in der Kleinzeichnerei. Die wie Hühner aufgescheuchten Mägde zum Beispiel, bei derem Hin und Her, derem Fallen und Anstoßen, derem höhnischen Gelächter hinter der Tür. Das ist so milieuecht wie der stetig rieselnde Schnee eines kalten Januartages draußen vor den Fenstern. Das hat Atmosphäre.
Zunächst freilich ist's duster in der
Stube. Auf einem Tisch hockt Adam, der Dorfrichter. In traumwandelnder,
gespenstig-homburgischer Geste faßt er ins Leere und schlägt lang hin. Im
nämlichen Moment kommt eine Magd herein und behandelt ihres Herrn Debakel wie eine
gewohnte Alltäglichkeit. Sie eilt, um von außen die mächtigen Fensterläden zu
öffnen und helles Licht herein auf die finstere Angelegenheit scheinen zu
lassen. Sehr zum Mißvergnügen Adams.
Jörg Gudzuhns Dorfrichter fängt sich
und führt erst einmal vor, wie tänzerisch behend und fidel der Klumpfüßige sein
kann. Sobald der scheu-gewiefte Schreiber Licht (Thomas Neumann) dazukommt, gerät
Adam ins Gedränge. Der ramponierte Glatzkopf versucht, das Geschehen der Nacht
spaßvogelig zu kaschieren, wird aber immer konfuser, tritt Akten wie Mägde
beiläufig mit Füßen, verkriecht sich gar schutzsuchend auf Lichts Schoß. Die
Regie treibt Adam hier ins Schwankhafte, zu - wie ich finde - unnötiger
Hampelei. Zum Glück verliert sich das.
Im Duell mit Gerichtsrat Walter, beim
taktierenden Sondieren, wie wohl nach Edikt und Gebräuchen just Recht zu
sprechen sei, gewinnt Gudzuhns Dorfrichter Profil. Das ist kein Kerl von
launiger Vitalität, sondern von rüstiger Zähigkeit. Er steht auf Eve weniger
aus Leidenschaft der Sinne, eher aus Übermut im Amte. Groß und unbedingt ist
dieser Adam in seinem ländlichen Reich, wenn er den redlichen Ruprecht (Bernd
Stempel) anherrscht und „Gerechtigkeit" donnert. Klein und jämmerlich aber
ist er gegenüber seiner Obrigkeit, wenn er sich tragikomisch bemüht, es dem
hohen Herrn recht zu machen und zugleich seinen Kopf aus der Schlinge zu
ziehen. Er trickst, er droht, er schmeichelt, er heuchelt.
Gerichtsrat Walter durchschaut ihn.
Klaus Piontek gibt die aus Utrecht angereiste Obrigkeit exzellent mit vornehmer
gutbürgerlicher Distinktion. Wenn die von ihrem Krug besessene Marthe Rull (Gudrun
Ritter) die Scherben ihrer zerschellten Kostbarkeit vorführt, tritt er doch
tatsächlich, ganz Mensch, neugierig herzu, um das kaputte Kleinod genau zu
schauen. Wenn es ums Recht geht, um Fakten, nicht um Gerede, wettert er genervt
sogar mal cholerisch los. Ansonsten hält er deutlich auf Würde, nämlich nicht
viel vom blödsinnigen Volk, dafür umso mehr vom makellosen Bild der Gerichtsbarkeit
in der Öffentlichkeit.
Die dramaturgische Wende des Lustspiels
wird von der Regie dezent akzentuiert. Sie gibt auf das endliche Geständnis
Eves ein freundlich aufhellendes Licht. In der Tat: Die Schicksale der kleinen Leute
zwischen den Gewalten der Mächtigen, die mit neugeprägten Gulden operieren,
verdienen Aufmerksamkeit.
Ulrike Krumbiegel spielt glaubhaft
real Eves Not, ihre Angst vor der Mutter und ihre noch größere Angst, der
geliebte Ruprecht könnte zur Miliz und nach Batavia müssen. Neueste Nachrichten
kommen einem plötzlich in den Sinn: Amerikanische Boys, wird gemeldet, erwägen
zu desertieren, um dem möglichen Schlachten in der Wüste zu entgehen. Und wie
werden es deutsche Jungs demnächst halten? Wie hochaktuell, begreift man, ist Kleists
eigentliches Thema noch immer! Wie oft wurde es im Theater mit Adams
possierlichem Fluchtgalopp durch die winterliche Landschaft verdeckt. Langhoff
legt es offen.
Eine Aufführung im Deutschen Theater,
sprecherisch noch präzisierbar, insofern nicht glanzvoll rundum, aber trefflich
in der realistischen Tradition des Hauses. Sehr herzlicher Beifall zur
Premiere.
Neues
Deutschland, 3. Dezember 1990