„Der eingebildete Kranke“ von Molière am
Schlosspark-Theater Berlin, Regie Helmut Stauss
Kauziger Hypochonder
Natürlich ist das der Abend des Heribert Sasse
- Intendant zwar, aber immer wieder auf die Bühne drängender urwüchsiger Mime.
Noch eben hat er in der Presse seinem Herzen Luft gemacht. Bitter beklagt er
den kulturellen Niedergang, das Versinken der elektronischen Medien in
Banalität und Schmutz. Hat Theater zu spielen überhaupt noch einen Sinn? fragt
er skeptisch. Und er gibt eine Antwort: Er steht auf der Bühne, unverdrossen
treu dem uralten Medium. Er spielt an seinem Haus, dem Schlosspark-Theater in
Berlin Steglitz, eine klassische Figur der Komödienliteratur, Argan, den
eingebildeten Kranken von Jean-Baptiste Molière.
Die Rolle ist dem Heribert Sasse wie auf den
Leib geschneidert. Dieser gedrungene, etwas breite Typ mit dem Flair des umgänglichen
Österreichers, ist gelegentlich etwas zu theatralisch temperamentvoll
vielleicht, stets irgendwie wurstig in der Geste, aber komische Pointen sehr genau
servierend. Dem Argan gibt er mit sichtlichem Vergnügen die verschrobene
Einfältigkeit eines kauzigen Hypochonders. Dass der insgeheim ein intimes Verhältnis
mit dem resoluten Dienstmädchen Toinette (Jenny Gröllmann) hat, verheimlicht
er zwar dem Publikum bis zum Schluss, aber Argan verstellt sich halt gern. Auch
darf ihm seine zweite Frau (Yvonne Brüning), ein wirklich arg scheinheiliger
Hausdrachen, nicht dahinterkommen.
Die kurzweilige Aufführung in der soliden Regie von Helmut Stauss sucht
zwar nicht sozialkritischen Tiefgang, fühlt sich aber wohl im historischen
Milieu (Kostüme: Irmgard Kersting). Das ansehnliche Bühnenbild Frank Wisniewskis,
eine karge, aber geräumige Wohn- und Schlafstube mit bequemem Himmelbett,
bietet einen idealen Spielraum für die Eskapaden des
kranken Hausherrn. Da sitzt er so melancholisch wie verdrießlich auf seinem
zeitgenössischen Hometrainer, einem Schaukelschaf, und bekämpft geruhsam
nebenher seine Krankheit. Er ist nie eigentlich wahrhaft verbittert und boshaft,
eher von angenehmem Gemüt.
Als Arzt Diafoirus mit gut erzogenem Sohn
(Michael Laricchia) tritt Volkmar Kleinert auf und liefert ein Kabinettstück
eines borniert scholastischen Mediziners. Streng im Habitus, sehr auf
Contenance bedacht, gerät er in leidenschaftliche Wallung, wenn er gegen die
moderne Auffassung vom Blutkreislauf zu Felde zieht. Weniger regt ihn auf, wenn
sein Sohn bei Angelique, der Tochter des Hauses (Kristina Bangert), abblitzt.
Da bläst er souverän zum Rückzug.
Theater darf nicht nur verstören wollen, es
muss auch gefällig sein. Vor allem sollte es angenehm zu unterhalten wissen.
Wenn es dann auch noch ein bisschen didaktisch ist, nicht unbedingt moralisch
(nachzulesen beim guten alten Brecht), kann es sich noch immer sehen lassen.
Solch publikumsgenehme Haltung wird zwar gern diffamiert, hat aber, wie mir
scheint, in Steglitz Chancen bei den Zuschauern.
Neues
Deutschland, 12. Oktober 2000