„Der eingebildete Kranke“ von Molière am Schiller-Theater Berlin, Regie Alexander Lang

 

 

 

Blasiert ins Publikum gerülpst

 

Dieser „Eingebildete Kranke" des Molière am Berliner Schiller-Theater wird nicht nur von seinen Ärzten malträtiert, sondern auch von seinem Regisseur. Alexander Lang erstellte eine eigene Spielfassung. Er verzichtete auf die Zwischenspiele und ergänzte die Dialoge mit gegenwartsbezogenem naturalistischem Gebrabbel. Das mochte noch angehen.

Szenisch aber verlor sich Lang leider in banalen, oft geschmacklosen Äußerlichkeiten. Keine Komödien-Figuren entstanden, nicht einmal Karikaturen, eher Schemen, Nachtschatten des Dichters in düster-bombastischer Barock-Kulisse (Bühnenbild Marcel Keller und Caroline Neven du Mont). Argan hat versessen zu sein aufs Klistier, weshalb er die Spritze, die er noch eben im Hintern hatte, auch zum Munde führt. Vor der Pause wird ihm gar die Leber herausoperiert, jedenfalls ein ansehnliches schlappriges Stück Fleisch. Was aber den Abend noch nicht beendet. Obwohl etliche Zuschauer bei der Premiere die Sache offenbar so auslegten.

Eine dialektische Sicht auf das Stück, wie man von Lang gewohnt ist, blieb aus. Christian Grashof als Dienstmädchen Toinette besetzt zu sehen, zeigte schon an, daß dem Regisseur zu Molière offenbar wenig eingefallen war. Die kritische Menschenanalyse findet diesmal in der Tat allein im Programmheft statt.

Grashof nun, ein gestisch konkreter Darsteller, serviert mit Bravour eine sozusagen klassisch verfremdete Toinette, die ihre Sätze wertend auf Argan abfeuert und die, gekleidet wie eine schusselige jungfräuliche Gouvernante mit stets parater Handtasche, ihrem Herrn auch handgreiflich an den Latz geht. Mit dem Staubtuch über Wände, Stühle, Nachtgeschirr und dann über dem Kopf zu fummeln, ist freilich billiges Klischee. Wie Grashof den Arzt markiert, gewitzt, schön, intrigant, das versöhnt. Dennoch bleibt zu fragen, wozu eine solche Besetzung gut sein soll. Ist da nur Gaudi im Kalkül?

Den eingebildet Kranken hat Walter Schmidinger zu absolvieren, ein Schauspieler mit Sinn für Realistik, möchte man meinen. Wenn sein Argan anfangs blasiert ins Publikum rülpst, freuen sich die „Kenner" und lachen beifällig. Wenn er nach lustvoll empfangenem Klistier per Lautsprecher verstärkt alle Winde blasen lassen muß, scheint sich noch immer auserlesener Spaß anzukündigen. Und die Fans verstummen noch nicht. Aber sehr bald verselbständigen sich die gar nicht beredten Mätzchen. Kein Mensch, ein wehleidiger Popanz agiert. Und es wird still im Zuschauerraum. Es ist nicht einmal mehr komisch. Es ist einfach kläglich.

Um gerecht zu sein. Natürlich wird ablesbar, daß hier eine sarkastische Attacke gegen ärztliche Untugenden geritten werden soll. Lang macht seine Absicht vor allem an den in Pulcinella-Kostümen auftretenden Doktor Diafoirus (Oliver Stern) und Sohn Thomas (Jürgen Eibers) fest. Auch an Doktor Purgon (Benno Ifland). Aber die mögliche Satire erledigt sich selbst, weil mit übertriebenen Details inflationiert. Purgon beispielsweise trägt eine Art Hobby-Bauchladen mit blutigen Sezierstücken. Langs Fähigkeit, in überkommenen Theaterfiguren, ob in Charakteren oder Typen, ironisch zeitgenössisches Verhalten schaubar zu machen, scheint völlig verlorengegangen zu sein.

Argan als letztlich uneinsichtig zu verabschieden, wirkt hier aufgesetzt. Mit großem Vergnügen läßt der sich neuerlich ein Klistier verabreichen. Er will auf sein Kranksein partout nicht verzichten. Solche Borniertheit scheint zwar, so man will, im übertragenen Sinne sogar für die ganze Menschheit zuzutreffen, die sich nur schwer, eigentlich überhaupt nicht von ihren Gebrechen trennt. Aber wie soll sich das nach Langs Klamauk assoziieren.

Das Publikum scheint nicht bereit, sich nasführen zu lassen. Ein geradezu chorisches Buh mahnte unüberhörbar.

 

 

 

Neues Deutschland, 28. November 1991