„Korbes“ von Tankred Dorst am Theater Basel,
Regie Harald Clemen
Dorsts Märchen vom bösen Korbes
Mit der Komödie „Korbes" zeichnet Tankred Dorst (Jahrgang 1925) ziemlich naturalistisch das makabre Konterfei eines Bösewichts per se, eines Lohnmetzgers aus dem Fränkischen. Und er verklärt den widerlichen Kerl pastoral mit Vokalmusik aus Georg Friedrich Händels Brockes-Passion.
Das theatrale Symbol für
Schlechtigkeit serviert Regisseur Harald Clemen auf einem blutroten Präsentierteller,
einer schräg gestellten zirzensischen Arena, umgeben von einer Galerie, die
über eine Leiter als Himmel zu erreichen ist (Bühnenbild: Siegfried F. Meyer).
Die rustikal-derbe Inszenierung des Theaters Basel, gezeigt zum 28.
Theatertreffen Berlin, legt sich wie ein Alptraum aufs Gemüt.
Dieser Korbes hat so etwas wie eine tückische
psychische Krankheit. Sie befällt nur wenige Menschen. Aber wen sie heimsucht,
den treibt sie zu hirnrissiger Feindschaft gegen sich selbst und gegen jedermann.
Warum? Weshalb nach Motiven fragen. Bösartige Menschen gibt es nun einmal.
Norbert Schwientek spielt den Korbes denn auch als schiere Selbstverständlichkeit,
als fieses Ekel, als einen glatzköpfigen, stiernackigen Berserker, der — wie
ein bissiger Hund kläffend — die Worte aggressiv-poltrig herausstößt.
Dem Korbes ist die Frau gestorben.
Offenbar hat er sie zu Tode gepeinigt. Noch eben steigt deren Seele scheu in
den Himmel, da bumst er schon die geile Elfriede, seine Nachbarin, die bereit
ist, ihm den Haushalt zu führen. Ihm geht es gut, sagt er gemütsroh und selbstbewußt,
er habe sein Haus, sein Television und seine Rente. Basta!
Womit die Bestandsaufnahme dieses
schlimmen Charakters eigentlich komplett wäre. Doch der Autor jongliert
ästhetisch, verschafft seiner Figur eine Odyssee: Korbes erblindet über Nacht —
aber bleibt das Ekel von vordem. Der Elfriede (Nikola Weisse), die ihn heiraten
würde, mißtraut er. Wohl zu Recht. Denn sie und ihr Sohn Armin plündern den
Wehrlosen aus. Soll man Mitleid haben?
Korbes Tochter (Barbara Falter) hat
es kaum. Sie kommt endlich und findet den Vater in erbarmungswürdiger
Verfassung vor. Er quält sie, obwohl sie ihm hilft. Er zerrt sie an den Haaren,
er küßt sie, sie schmiegt sich an ihn. Als sie ihn gewaschen hat, triumphiert
er: „Da bleib ich und da bin ich!" Eine grauenhaft realistische Verkündüng.
Korbes, über den
schon in Grimms Märchen nachzulesen ist, wo ihn Dorst aufstöberte, lebt, ist einfach
Mitglied der Gesellschaft. Ja, Korbesse sind überall. Sie werden auch künftig
tyrannisieren. Und Dorst vergibt ihnen. Nicht anders ist das szenische
Verquicken mit dem Leiden Christi zu verstehen. Trostlosigkeit sowieso. Resignation
ohnehin. Wenigstens Absolution.
Doch der gesunde
Menschenverstand sträubt sich gegen das offenbar Unabänderliche. Aus dieser Spannung
bezieht die rabenschwarze Komödie ihre beklemmende Wirkung.
Neues
Deutschland, 13. Mai 1991