„Herr Kolpert“ von David Gieselmann an der Schaubühne Berlin, Regie Marius von Mayenburg und Wulf Twiehaus

 

 

 

 

Töten als Kick

 

Eine nüchtern holzgetäfelte, entindi­vidualisierte Wohnung ohne Fern­sehapparat, aber mit imposantem Ausblick auf Kirche und Dächer. Bühnen­bildner Stephan Fernau hat sie leicht an­geschrägt und über Eck in die Schaubüh­ne gestellt. Darinnen steht vor dem Bad eine alte Truhe, die Ralf, der Besitzer, lie­bevoll putzt und aus der heraus alsdann eindeutig Klopfzeichen ertönen. Die An­gelegenheit ist leicht mystisch, denn die Leiche, nämlich Herr Kolpert, der Chef von Ralfs Freundin Sarah, befindet sich nicht in der Truhe, sondern fällt im Ver­laufe des Abends aus einem Wand­schrank. Das mehrfach mit Messerstichen malträtierte Opfer scheint noch zu leben, aber ganz genau erfährt man das nicht.

Der makabre vermeintliche Inhalt der Truhe hilft David Gieselmann, dem jungen Autor vom Jahr­gang 1972, seine Handlung in Gang zu bringen. Das junge Ehepaar Edith und Bastian erscheint zu Besuch und ist durch die Klopferei arg irritiert, zumal Ralf im­mer wieder behauptet, dass sie von Herrn Kolpert stamme und aus der Truhe kom­me. Bastian, Architekt von Beruf und ansonsten ein eifersüchtiger Choleriker (Lars Eidinger deftig rabiat), hievt den Gastgeber immer mal wieder knallig an die Wand. Die Missverständnisse schau­keln sich hoch, und schon ist eine wüste Klopferei im Gange. Hineinverwickelt wird ein Pizzamann (Ronald Kukulies), der natürlich nicht das bringt, was bestellt wurde, und neue Keilerei auslöst.

Langsam, mittels üblicher Party-Quas­selei und Kaskaden von Slapsticks, er­schließt sich Gieselmanns Groteske. Da haben zwei junge Leute, der »Chaosfor­scher« Ralf und seine Freundin Sarah, gefühlsverroht und seelisch leer, aus Lebensüberdrüssigkeit mal so eben einen Menschen umgebracht und wussten nicht, wohin mit der Leiche. Da reizte es sie, den Kick noch weiter zu treiben und das zu Gast kommende Ehepaar zu involvieren. Was vollauf gelingt. Mit der Konsequenz, dass Edith (Stephanie Eidt) einen Emanzipations-Koller bekommt und den un­freiwilligen Zeugen, den Pizzamann, ab­sticht. Was nun wiederum Sarah (Julika Jenkins in mondäner Manier) und Ralf (Tilo Werner locker vom Hocker) so ani­miert, auch noch Bastian abzumurksen. Dem mörderischen Trio ist daraufhin so frei zumute, dass es sich splitternackt aus­zieht und vorm Publikum posiert.

Es kann schon passieren, dass sich rote Farbe aus platzendem Beutel ein wenig verirrt. Man sollte also nicht zu nahe sit­zen. Den Regisseuren Marius von Mayenburg und Wulf Twiehaus gelang immer­hin, die blutrünstige Angelegenheit eini­germaßen spaßvoll parodistisch zu etab­lieren. Zwar scheint es zuweilen, als be­gebe sich da lediglich eine äußerlich wüste Klamotte, aber Autor David Gieselmann hat dramaturgisch geschickt gebaut. Letztlich wird sinnfällig, dass hier geistige Armseligkeit und zeitgenössische Brutalisierung junger Menschen grotesk komisch vorgeführt werden sollen. Und damit ei­nen nicht ganz und gar das kalte Grauen überfällt, jazzen die Musiker Martin Klin­geberg, Gerd Glatthaar, Jörg Gollasch, Fa­bian Kalbitzer und Matthias Trippner im­mer wieder fröhlich dazwischen.

 

 

 

 

Neues Deutschland, 19. Dezember 2000