„Der König stirbt“ von Eugene Ionesco am Berliner Ensemble, Regie Karin Henkel

 

 

 

Verfall in zwei Stunden

 

Kaum hatte ich mich von den ausschweifenden Macht-Orgien eines Tyrannen erholt, von Camus' Kaiser »Caligula« im Deutschen Theater, schon war ich zu einem weiteren Regenten-Porträt gebeten, zu Eugene lonescos »Der König stirbt« ins Berliner Ensemble - zu einer zwar auch absurden, aber, wie sich herausstellte, merklich einfacheren Spielerei um einen jener Auserkorenen, die, erst einmal herrschend an der Spitze eines Staates, zunehmend die Übersicht verlieren und den Verfall nicht aufzuhalten vermögen. Das eine wie das andere Drama weckt Assoziationen zu diesem oder jenem toten oder lebenden Potentaten, was die Dramaturgie im Berliner Ensemble für begriffsstutzige Zuschauer per Programmzettel und Schauvitrine mit ethisch geschmacklosem Holzhammer bekräftigt. Regisseurin Karin Henkel versagte sich billige Anspielungen.

lonesco zielt zwar auf einen abgewirtschafteten Herrscher in verödetem Reich, doch zugleich auf einen abstrakten »Jedermann«, den Erfinder des Schießpulvers wie der Atomspaltung, den Erbauer von Rom oder Paris. König Behringer l. aus dem Jahre 1962 - Namensvetter des Behringer der »Nashörner« aus dem Jahre 1959, eines Individuums, das sich mutig gegen staatlich aufkommende Gewalt stellt - steht für sich wie auch für die Menschheit. Sein Sterben ist auf zwei Stunden befristet. Was, wie sich zeigt, eine lange Distanz sein kann.

Die Regisseurin tut allerhand, keine Langeweile aufkommen zu lassen. In einem verkommenen Thronsaal von armselig kleinbürgerlichem Outfit (Bühnenbild Henrike Engel), undichtes Dach, defekte Heizung, verschlissene Blümchentapete, rostige Eisentreppe, ordinäre Sitze, entfacht sie bereits hinter noch verschlossenem Gaze-Vorhang eine verschrobene Rock-Party des Königs, der ab und zu fidel und herausfordernd ins Parkett illert. Das ist aber nicht, wie geplant, Jaecki Schwarz. Der erkrankte. Das ist Manfred Karge, spiellaunig wie die ganze kleine Truppe, die den Abend bestreitet.

Wobei an dieser Stelle eingefügt sei, daß die Inszenierung unter keinem guten Stern stand. Eine Woche vor der Premiere erkrankte auch noch Margarita Broich, die die Margarete, des Königs erste Gemahlin, hätte spielen sollen. Lore Brunner, die einsprang, gab der hartnäckigen Künderin des Todes aparte Gestalt und strenges Gesicht, mit dem Text souverän vertraut. Der Abend jedoch - woran auch immer es gelegen haben mag - bedient eher die leichte Komödie denn das sinnbildträchtige Schauspiel.

Manfred Karge also macht den König. Er zeigt ihn als einen so rüstigen, gar nicht hinfälligen, lieb schelmischen Herrn, daß eher Gesundung als Sterben angezeigt scheint. Doch des Dichters Fügung muß befolgt werden. Nach etwa einer Stunde liegt Behringer I. stückgemäß auf dem Todeslager. Natürlich will er nicht abdanken, geschweige denn sterben, sieht aber schon seine Nächsten nur mit Mühe. Margarete freilich, die er haßt, erkennt er gut. Die junge Maria, seine zweite Gemahlin (Mira Partecke), die er noch immer irgendwie ins Herz geschlossen hat, umarmt er, dann hat er sie satt. Mit Julchen, der armen Haushälterin, von Ruth Glöss fein ironisch vorgeführt, hat er noch einen vertraulichen Plausch. Bei dem man einmal mehr erfährt, wie konsequent Könige am Schicksal ihrer Untertanen vorbeizuleben pflegen. Behringer I. liebt nur sich. In heller Minute ist er noch darauf bedacht, in die Geschichte einzugehen und in ein Mausoleum. In seinen letzten wachen Sekunden kommen ihm Katzen in den Sinn. Dann redet er wirres Zeug - vom Wächter und Pressesprecher (Ulrich Hoppe) lauthals verkündet - und stirbt. Welch Ereignis sein Arzt (Veit Schubert in bewährter Präzision) weder verhindern konnte noch wollte.

Vergänglichkeit... Die Mächtigen sind nicht ausgenommen. Ein Trost, der so recht über die Rampe nicht kommt. Freundlicher Beifall.

 

 

Neues Deutschland, 16./17. November 1996