„Die Kinder“ von Peter Hacks am Theater der Jungen
Generation Dresden, Regie Helfried Schöbel
Zeus als Wickelkind
Peter Hacks, Dramatiker von hohem poetischem
Anspruch, schrieb mit dem Bühnenmärchen „Die Kinder" eine aparte Mischung
aus seriöser Bildung und naivem Spaß für junges Publikum sowie für übrige Generationen.
Nebenher ein wenig griechische Sagenwelt kennenzulernen (oder zu memorieren), kann
wahrhaftig nicht schaden. Zumal dann, wenn sie so geistreich vermittelt wird,
wie es hier geschieht. Das Theater der Jungen Generation aus Dresden stellte
sich mit diesem Stück zu den Berliner Festtagen vor.
Mit dem Titel „Die Kinder" offeriert der Autor, daß ihn — einer seiner reizenden Theatereinfälle — zwar „Zeus als Wickelkind" interessiert, aber recht eigentlich interessieren ihn die Kinder überhaupt: ihre lärmende Unschuld, ihre kecke Neugier, ihre tollen Streiche und nicht zuletzt ihr historisches Recht, eines Tages das Erbe der Älteren zu übernehmen. Günstig dann, wenn sie den Vorsatz haben, das Leben voranzubringen. Der Zeus ist so einer.
Obwohl noch in den Windeln, hat er keinen
Respekt vorm „Goldenen Zeitalter" seines göttlichen Vaters. Er möchte
erreichen, daß die Leute unter seiner Regentschaft die Früchte der Bäume
verzehren und nicht mehr, wie in Urzeiten, nur deren Rinde. Solch Ziel aber ist
Kronos verdächtig, weshalb er seinen Sohn vorsorglicherweise auffressen will.
Die Sache geht aus, wie es die Sage berichtet: Kronos verdirbt sich den Magen
an der Fresserei und muß auch alle bereits vorher verspeisten Kinder wieder
hergeben: Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon. Und Zeus zieht als oberster
der Götter in den Olymp.
Nach dem Vorbild der antiken Dramen hat Hacks
einen Chor in die Vorgänge verwoben, darzustellen von Kindern, die ihre Sicht
auf die sagenhaften Geschehnisse einbringen. Und die zugleich Sprecher sind der
jungen Zuschauer und sich immer mal deftig einmischen.
Im Bühnenbild Dieter Ruhlands, der einen
grau-kahlen und gar nicht grünen Ziegenhügel auf Kreta baute, arrangierte Regisseur
Helfried Schöbe! a. G. das märchenhafte Spiel. Zeus (Michael Heuser), kaum von
seiner Mutter Rhea bei der Amme Amalthea, einer Ziege, fürsorglich
untergebracht, verleitet seinen Wickelbruder in der Wiege, Kasparos (Roland
Kache), zur Mithilfe bei einem Streich. Zeus stiehlt Era, der uralten,
weissagenden Göttin, den Donnerkeil. Womit er dann dem Riesen Atlas, dem
Schergen des Königs Kronos, einen Blitz in den Rücken schleudert. Kasparos,
mittlerweile ein schlaues Früchtchen geworden, versucht, den Kronos 'reinzulegen,
ihm einen Stein als Zeus anzudrehen. Der wird als vermeintlicher Zeus verschlungen,
was dann der eigentliche Grund der Magenverstimmung ist...
Schöbel läßt die ungewöhnlichen Vorgänge wie
alltägliche Ereignisse spielen und gibt so den jungen Zuschauern Zeit und Gelegenheit,
sie nachzuvollziehen. Aber die bei Hacks ständig wechselnden Haltungen der
Figuren verschleifen, wodurch die Texte zu glatt, zu unpointiert kommen. Nur
hin und wieder blitzt der Hackssche Witz auf, der natürlich nicht immer nur für
Kinder bestimmt ist.
Gut ist der Einfall Schöbels, die Gottheiten
in Masken agieren zu lassen, was sie wegrückt und doch auch in die
Aufmerksamkeit holt. Rhea, des Kronos Frau (Brigitte Wähner), Era, die uralte
Göttin (Ursula Geyer-Hopfe) und Kronos (Wilfried Weschke) verbinden göttliche
Erhabenheit mit salopper Gewöhnlichkeit. So gibt es Momente, wo im Märchen
antike Größe aufleuchtet, auch Aristophanes als ferner Pate mitzureden scheint.
Die muntere Ziege Amalthea gibt Eva Simon als zunächst braves, waches Tierchen
mit ungeheurer Angst vorm Donner, das sich dann aber, um das Ziehkind Zeus zu
verteidigen, zu großem .Disput mit König Kronos aufrafft.
Der Chor argumentiert, schweigt und lärmt in
der Kleidung biederer Bürgersöhne und -töchter, was insofern zutreffend ist,
als die Chorführerin (Karin Müller-Geng) nun tatsächlich eine beflissene
Gouvernante ist. So ist der Chor letztlich durchaus nicht etwa die Stimme
kecker junger Zeitgenossen. Hacks bleibt im Märchen — und wünscht mit seiner
Chorführerin, daß wir uns manch gute Lehre herausschauen. Gewiß, Lehre auch.
Doch Theater des Ergötzens, wozu Hacks herausfordert, ist es vor allem als eins
der Zuversicht. Dieses Stück, vor einiger Zeit in Greifswald uraufgeführt,
sollte weiter nachgespielt werden.
Neues
Deutschland, 23. Oktober 1984