„Der Kaufmann von Venedig“ von Shakespeare am
Schauspielhaus Dresden, Regie Klaus Dieter Kirst
Tragischer Held in stilvoller Komödie
In
Dresden gab es in kurzer Abfolge Shakespeare-Premieren. Nach dem „Sturm"
(Regie: Horst Schönemann) und einem Sonette-Abend (Regie: Wolfgang Engel; mit
Cornelia Schmaus) nun „Der Kaufmann von Venedig" in der Regie von Klaus
Dieter Kirst. Das Projekt insgesamt ist ein bemerkenswerter Beitrag zur
Rezeption des Dichters in der heiter-souveränen, humanistischen Sicht
sozialistischer Theaterkünstler. Womit die Dresdner nun allerdings auf
nationale Dramatik in Spiel und Deutung ihrer Regisseure sozusagen dreifach neugierig
gemacht haben.
Kirst inszeniert die Komödie und in ihr die
tragische Geschichte Shylocks. Er vertraut diesem Kontrast, setzt ihn in ein zeit-
und ortloses, abstraktes Bühnenbild (Volker Walther als Gast) und gibt ihm
spielerische Virtuosität. Das ist alles präzis, hat Ton und Rhythmus, bekommt Stil
und funktioniert mit Szenenapplaus.
Auf Belmont, dem idyllischen Landsitz der
superreichen Porzia, versammeln sich die Tagediebe aus der vornehmen
Gesellschaft. Unter ihnen der Edelmann Lorenzo, der Shylocks Tochter Jessica
ver- und entführt hat und sich nun von dem Geld aushalten läßt, das sie nebst
kostbaren Juwelen ihrem Vater gestohlen hat. Unter ihnen auch Bassanio,
ebenfalls Edelmann, ein Glücksritter, der sich mit dem von Antonio geborgten
Geld — den von Shylock geliehenen dreitausend Dukaten — bei Porzia einführt und
sich über eine Hochzeit mit ihr bereichern will.
Diese Edelleute, zu denen noch Gratiano,
Salerio und Solanio kommen, werden von Kirst kaum in die Kritik genommen. Ihr
verspielt-komischer Zuschnitt schönt immer wieder ihr wahres Gesicht, macht sie
possierlich, anstatt auch Distanz zu schaffen. So ist die Komödie oft nahe dem
Lustspiel. Die böse Attacke dieser Herrschaften gegen den Juden, der sich zum
Christen bekehren lassen oder sterben soll, erscheint als bübische Laune, ist
aber doch schamlose Erpressung.
Das Zentrum der Komödie wird vor allem durch
die Hauptfiguren bedient. Antonio, der in Not geratene reiche Kaufmann, ist ein
Gegner Shylocks von arroganter, phlegmatisch-kalter Vornehmheit. Rudolf Donath spielt
das sehr überzeugend (trotz der offenbar unvermeidlichen schwarzen Melone auf
dem Kopf). Er gibt einen risikofreudigen Mann, zwar aus feudaler Familie
stammend, doch schon bürgerlich wirtschaftend, Prototyp des künftigen mit
freundlicher Geste erbarmungslos handelnden Bourgeois.
Hans Teuscher als Gast von der Berliner
Volksbühne ist der Shylock. Er spielt den Juden als Rächer für
jahrhundertelange Schmach. Einen, der firm ist in Handel und Wandel, aber kein
kleinlich-finsterer Krämer, schon gar kein vordergründiger Bösewicht. Ein
rüstiger Mann noch, eigentlich umgänglich, ein wenig geduckt, aber das eher aus
Schläue denn durch das Alter. Einmal hebt er entschuldigend die Arme zur
Gebärde: Was kann ich dafür, daß ich so handeln muß? So fordert er seinen Tribut
mit der Grausamkeit, die ihn die Christen lehrten. Zum Freudentanz reißt es
ihn, wenn er den Spruch des Richters zu seinen Gunsten vernimmt, auf den Knien
kriecht er zu seinem Opfer, unerbittlich, haßerfüllt.
Durch diese beiden Darsteller wird in
realistischer, subtiler Menschengestaltung die historische Dimension und
Schärfe des Konfliktes erlebbar wie seine theatralische, manchmal
grotesk-komische Einmaligkeit. Wozu die wunderbare Rettung des Antonio durch Porzias
Verstellkünste gehört, die in die Robe des Richters schlüpft — mit der
Umbedingtheit einer absoluten Herrscherin. Regina Jeske verkörpert die
königliche Schönheit mit Anmut und fraulicher Wärme. Als Richter scheint sie
mir zu platt. Da rutscht der Witz in die betont unvorteilhaften Männerhosen.
Vortrefflich Sohn und Vater Gobbo (Peter Kube
und Gerhard Vogt). Keine Klamotte, stimmig, einfach gut. Als vitale Nerissa macht
Anne-Kathrein Kretzschmar auf sich aufmerksam.
Viel Beifall am Schluß. Er war verdient.
Neues
Deutschland, 30. Januar 1985