„Kasimir und Karoline“ von Ödön von
Horváth am Schlosspark-Theater Berlin, regie Lore Stefanek
Treffsicher an der sozialen Substanz vorbei inszeniert
Zum Auftakt setzt sich Karoline, die kleine Büroangestellte, mit schmuckem weißem Kleid auf eine Mülltonne. Das ließ schon ahnen, welch situationsdiffuses Theater an diesem Abend geboten werden würde. In der Tat - Lore Stefanek inszenierte am Berliner Schloßpark-Theater Ödön von Horváths Volksstück „Kasimir und Karoline" kulinarisch allgemein und geradezu geflissentlich an der sozialen Substanz vorbei. Auch war sie nicht daran interessiert, Assoziationen zu heutiger Arbeitslosenproblematik aufkommen zu lassen. Sie war vielmehr darauf bedacht, eine reine Theaterangelegenheit zu offerieren. Und zwar, ich übertreibe, als angesiedelt zwischen Arnold und Bach, zwischen Klamotte und Rührseligkeit.
Ödön von Horváths (1901 bis 1938)
spröde, desillusionierende Poesie auf dem Hintergrund der Wirtschaftskrise
braucht die psychologisch konkrete, gesellschaftskundige Regie. Bei ihm sind
die Seelen der Figuren hinter Alltagsprofanität und Lebenskitsch verborgen. Und
das poltrige Münchner Oktoberfest mit Achterbahn, Riesendame, Liliputaner und Haut-den-Lukas
ist Symbol für den Kampf- und Tummelplatz kapitalistische Welt.
Der eben arbeitslos gewordene Kraftfahrer
Kasimir glaubt, seine Freundin Karoline liebe ihn fortan nicht mehr. Und sie,
verunsichert, aber scharf auf ein wenig Freude auf dem Rummel, fährt Achterbahn
mit dem Zuschneider Schürzinger und läßt sich von Kommerzienrat Rauch einladen.
Dessen Alter spielt ihm übel mit. Er geht mit Herzattacke zu Boden. Irritiert verläßt
Karoline das Sanitätszelt. Und sie findet ihren Kasimir Arm in Arm mit Erna,
deren Mann, Merkl Franz, soeben wegen Dieberei verhaftet wurde.
Durchaus simpel die Fabel. Wird sie nicht
verinnerlicht und von daher angereichert, werden also nicht Menschen entdeckt
in tragikomischer Situation, entsteht konventionelles Soffitten-Theater (Bühnenbild
Vincent Callara/Gabriella Ausonio). Offenbar hat Lore Stefanek zu Horváths
sozialkritischem Stück nur eine platonische Beziehung gefunden. Sie läßt die
Figuren einfallsarm in Andeutungen, stellt sie dorthin, stellt sie da her. Hin
und wieder scheint wenigstens Dialogregie stattgefunden zu haben, aber meist in
gleichbleibender hersagender Diktion, mal laut, mal überlaut. Leise, wirklich
empfundene Stellen lassen sich zählen. Etwa wenn Karoline am Ende scheu
resümiert, sie habe eigentlich nur ein Eis essen wollen.
Die Karoline Christiane Leuchtmanns, herb und
blaßgesichtig, ist sprecherisch kräftig, aber eben undifferenziert geführt.
Heino Ferchs Kasimir bleibt konturenlos, behauptet die Not verbal, hat sie nicht
in den Haltungen. Wiebke Frost zeigt Erna als tief innen zerbrochene Frau, aber
auch sie ist immer wieder zu Äußerlichkeiten veranlaßt. Matthias Redlhammer fand
einige darstellerische Mittel für den rüden Merkl Franz, auch Thomas Schendel
für den redlichen Zuschneider Schürzinger. Die Herren Hans-Peter Korff als
Kommerzienrat Rauch und Rainer Pigulla als Landgerichtsdirektor Speer aus Erfurt
chargierten sich routiniert durch das Stück, daß es schon wieder Art hatte.
Ein langweilender, ein verdrießlicher
Abend. Wie schnell doch kann Schauspielkunst verarmen.
Neues
Deutschland, 22. November 1991