„Karussell“ von Klaus Chatten, Uraufführung am Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Bernd Mottl
Zwar wird Berlin von einem schwulen Bürgermeister
regiert, aber in einigen Stadtbezirken, etwa in Schöneberg, mögen die Einwohner
homosexuelle Mitbürger nicht so recht leiden. Zumindest ist Klaus Chatten
dieser Auffassung, der alerte junge Hauptstadt-Dramatiker. Mit seinem in der
Regie von Bernd Mottl am Maxim Gorki Theater uraufgeführten Stück „Karussell“
agitpropt er leidenschaftlich für alle „Arschficker“ und „Schwanzlutscher“
dieser Stadt.
Mit dem Zitieren dieser drastischen Begriffe möchte ich
auffällig machen, welch soziales Milieu und welch geistiges Niveau vom Autor
kolportiert werden, so kritisch und auch selbstironisch er die Sache angeht.
Kenner und Vertreter der Szene fühlen sich offensichtlich ausgesprochen wohl,
ahnungslose Zuschauer indessen rätseln denn doch einigermaßen erschrocken
herum, wohin sie da am Kupfergraben geraten sind. Immerhin werden sie letztlich
gut unterhalten, wenn eben auch zuweilen arg unter der Gürtellinie – sofern es
die überhaupt noch gibt.
Der 1963 in Lennestadt in Nordrhein-Westfahlen geborene
Klaus Chatten (von ihm 1995 „Unser Dorf soll schöner werden“ in der Baracke des
DT, 1996 „Sugar Dollies“ in den Kammerspielen des DT) ist ein Trivialphilosoph
der Bühne, in etwa charakterisiert mit einer seiner lustigen Sentenzen, die da
lautet: „Lieber Putzfrau in Berlin als Hamlet in Lüneburg“. Deutlicher
charakterisiert mit dem knalligen Vergleich: „Die Katholiken ficken und schämen
sich nachher, die Protestanten ficken und schämen sich währenddessen“. Derlei
witzboldige, zuweilen ins Leere stoßende, zuweilen voll treffende Apercus
produziert Chatten am laufenden Band, und das scheint ihm wichtiger, als eine
klassisch gefügte, gut gebaute Stückfabel. Seine Komik kommt aus dem Wort, kaum
aus der Situation.
In etwa bietet er folgenden Fall: Ein renommierter
schwuler Filmregisseur (dem Autor nicht einmal eines Namens wert) braucht
Partner für sein Sexualleben und sucht sie sich in einem modernen Nachtasyl
Berlins, in einer eher anrüchigen Bar, einem Treffpunkt für Homosexuelle und
Dirnen. Dort gerät er an den Gogo-Boy Olli, der über das Bett des
Filmregisseurs Karriere als Schauspieler machen möchte (aufs Titelblatt des
„Stern“!). Olli verspricht den Himmel auf Erden, absolute Liebe, was recht
besehen eigentlich grotesk ist; denn er „ist positiv“.
Den tragischen Fakt behandelt Chatten allerdings
überraschend nebensächlich. Er konzentriert sich auf die Liebe zwischen den
beiden Männern, die er – arg idealistisch, wie mir scheint - als Inbegriff
vollkommenen Glücks zu preisen versteht. Zumindest ist der Filmregisseur
glücklich über die „sanfte Schönheit“ von Ollis Gegenwart, wenn der nachts
neben ihm liegt, unbewusst nach ihm greift und schließlich „sein Herz in der
Hand“ hält. Diese Momente menschlichen Besinnens, abgehoben von den ansonsten
ordinären Disputen, wusste der präzis arbeitende, die Vorgänge meist clever
parodierende Regisseur Bernd Mottl anrührend zu arrangieren. Und sowohl Tilo
Nest (Filmregisseur) als auch Norman Schenk (Olli) überzeugen mit der
liebevollen Zartheit ihrer Äußerungen. In diesen kurzen Phasen demonstrieren
sie auf ihrer Liegestatt, einer wie bei einer Peep-Show montierten Drehscheibe
(Bühnenbild Hansjörg Hartung), nicht nur Nacktheit, sondern auch Empfindungen.
Zugnummer des Abends, der nach der Pause übrigens spürbar
an Substanz verliert, ist Ruth Reinicke als Hure Suzanne, eine Berliner
Schnauze der hauptstädtischen Unterwelt. Suzanne, in ihrem Grimm an die
arbeitslose Schauspielerin Rosy in „Sugar Dollies“ erinnernd, ist zuständig für
trotzigen Frust, der sich in der Gesellschaft angestaut hat. Über das lose
Mundwerk der Dirne erreicht er die Öffentlichkeit. 16 Jahre Helmut Kohl werden
seziert, die „Scheißgeneration“ der Gleichgültigen und Angepassten verdonnert.
Das Weib treibt es so arg, dass es von der Obrigkeit in die Klapsmühle
weggesperrt wird. Eine „demokratische Lösung“, die näherer Erörterung wert
wäre. Ruth Reinecke jedenfalls schmettert die Sentenzen mit intelligenter
Inbrunst und erntet Szenenbeifall.
Traum von der idealen Beziehung zwischen Mann und Mann;
Sehnsucht nach dem Paradies, verstanden als Sehnsucht nach Normalität der Liebe
unter Homosexuellen – die Botschaft vermittelt das Stück sehr wohl, trotz
dessen subkulturellen Zuschnitt. Kabarettistische Einlagen differenzieren den
Eindruck, bringen die Idee vom Karussell ein, vom ewigen, unabänderlichen
Kreislauf der Menschen und Sachverhalte. Zuständig dafür sind der durch die
Bars streunende wunderliche „Wanderprediger“ Merlin (Ichgola Amdrogyn) und die
beiden skurrilen „Kunst-Adepten“ Sanya (Yara Blümel) und Tim (Niels Bormann).
Viel Beifall zur Premiere, Buhrufe auch.
Neues Deutschland, 8. Oktober 2002