„Mein Kampf“ von George Tabori am Maxim Gorki
Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff
Das Psychogramm eines künftigen Tyrannen
Im Männerheim unter Frau Merschmeyers Wiener Metzgerei (Bühnenbild: Peter Hein) wird zum Auftakt andächtig Friedrich Hölderlin zitiert: „Immer spielt ihr und scherzt? ihr müßt! o Freunde! mir geht dies / In die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur." Scherz und Verzweiflung sind denn auch die hauptsächlichen geistigen Ingredienzien des Spiels „Mein Kampf" von George Tabori, das Thomas Langhoff am Berliner Maxim Gorki Theater in DDR-Erstaufführung so drastisch wie süperb inszenierte.
Der 1914 in Budapest geborene jüdische Autor
ist ein ruheloser, sinnenfroher Experimentator. In Amerika hatte er Bertolt
Brecht kennen gelernt, später dessen Verfremdungskunst in Berlin studiert. Er
nahm auch andere Anregungen auf, vom amerikanischen Schauspieler-Lehrer Lee Strasberg,
vom polnischen Theaterpuritaner und -magier Jerzy Grotowski und vom emanzipatorischen
„Living Theatre". Seine zahlreichen Stücke — unter anderen „Die
Kannibalen" (1968) und „My Mother's Courage" (1979) — sind zu
Aktualität und Brisanz forcierte theatrale Befehdungen von Faschismus und
Antisemitismus.
In „Mein Kampf", einer politischen
Farce, die er sinnig einen theologischen Schwank nennt, konfrontiert Tabori den
soeben aus Braunau am Inn in Wien angereisten jungen Adolf Hitler mit Schlomo
Herzl, einem redlichen jüdischen Bewohner des Männerasyls. Realität und Fiktion
überschneiden sich, Komisches und Tragisches, Groteskes und Rührendes, Wirklichkeit
und Traum. Aufgeblendet wird das Psychogramm eines künftigen Tyrannen.
Der zentrale Einfall: Das hypochondrische
Muttersöhnchen findet Liebe. Herzl nämlich entdeckt sein Herz für Adolf. Er verwöhnt
ihn, kämmt ihn, frisiert ihn, wäscht ihm die Füße, wichst ihm die Schuhe, borgt
ihm den Mantel, rät ihm. Und wird dafür malträtiert! Von einer Horde in
SS-Manier operierender Tiroler Schergen. Hitler, inzwischen zu Höherem
entschlossen, sucht nämlich Herzls Buchmanuskript, in dem dieser unangenehme
Einzelheiten festgehalten haben könnte. In einer wüsten Orgie zerstückelt
Schlächter Himmlichst (Hansjürgen Hürrig) genüßlich Herzls Huhn Mizzi. So bricht
pures Entsetzen in die zwar armselige, aber beschauliche Wiener Gegenwart des
nächtens mit Bibeln handelnden Schlomo.
Gleich darauf geistert europäische Zukunft
herein: Eine mondän-diabolische Frau Tod (Monika Lennartz) requiriert Herrn
Hitler für künftige Völkermassaker. Sie werden recht gut miteinander auskommen,
spürt man. (Obwohl natürlich jeder weiß, daß Hitler nicht auf Weisung
irgendeiner Vorsehung hat morden lassen! Seine Verbrechen hatten mit sehr
irdischen Interessen zu tun!) Zurück bleibt Herzl — und fragt nach Gott. Und bekommt
läppische Antwort vom schrulligen Heimbewohner Lobkowitz (Albert Hetterle), der
sich für Gott hält.
Die sentenzreiche, dialogisch gewitzte,
wenngleich gelegentlich verharrende Handlung überschlägt sich am Schluß.
Lockerheit verspannt sich in Gewolltem. Aber Thomas Langhoff läßt das nicht
auffallen. Er macht die wunderliche Anhänglichkeit zwischen Herzl und Hitler
glaubwürdig, ohne die Figuren zu verzeichnen. Und selbst das ob absichtsvoller Symbolik
dramaturgisch mehrfach gedrechselte Ende meistert er versiert.
Nun hat er für die Hauptfiguren exzellente
Darsteller zur Verfügung. Klaus Manchen ist ein idealer Schlomo: treuherzig umgänglich,
eine wahre Seele von einem Menschen. Seine religiösen und literarischen
Kundigkeiten, die er mit Phantasie aufzuputzen weiß, wie auch die Daten seines Lebens,
serviert er bieder-harmlos, wie nebenher, doch stets mutterwitzig, gestisch
sensibel, mit Lust am Disput. Eine tragikomische, eine liebenswerte Gestalt.
Die Unendlichkeit jüdischen Leids steht diesem Herzl im Gesicht geschrieben,
wenn er — ans Bett gefesselt — dem Schlächter zusehen muß.
Den jungen Hitler gibt Götz Schubert. Noch
eben barmender Unglücksrabe, der als Künstler an der Akademie nicht angenommen
wurde, kann er in brachial-gewaltige Suaden ausbrechen. Böse klingt des
„Führers" machtrauschige Stimme auf. Und schon wieder krümmt sich ein erbärmlicher
Galgenvogel. Eine treffliche Leistung. Zu rühmen noch Gundula Köster als Gretchen,
als zartanmutige Schönheit, die den „faustischen" Herzl liebt und dem
„mephistophelischen" Adolf verfällt.
Ein Abend von ausgewogener ästhetischer Wirkkraft.
Viel Beifall, anhaltende Bravo-Bufe. Der erste Höhepunkt dieser Berliner Spielzeit.
Neues
Deutschland, 7. März 1990