„Kaffeehaus“ von Rainer Werner Fassbinder am Berliner Maxim Gorki Theater, Regie Martin Meltke

 

 

Status quo allgemeiner Schurkerei

 

 

Die Akteure im Berliner Maxim Gorki Theater spielen, was das Zeug hält. Gundula Köster, eine ewig kaugummikauende, selbstbewußt herumtigernde kleine Dirne Lisaura. Katka Kurze, die von ihrem Freund Eugenio hintergangene unfreiwillig komische, popcornkauende junge Frau Vittoria. Ruth Reinecke, die ihrem Manne Flaminio Ardenti alias Graf Leander nachlaufende resolute Donna Placida. Hans-Uwe Bauer, einen von der Spielleidenschaft besessenen, von allen guten Geistern verlassenen jungen Herrn Eugenio. Daniel Minetti den falschspielenden, eitlen und rauflustigen Grafen Leander. Dieter Wien einen durchtriebenen, verschuldeten Spielhallen-Besitzer Pandolfo. Wolfgang Hosfeld den geschäftstüchtigen kleinen Gauner Marzio. Hilmar Baumann einen gutmütigen Kellner Trappolo. Ursula Werner den Wirt Ridolfo als abgebrühte Wirtin Ridolfa.

Letztere Besetzung ist nicht die einzige Verfremdung unter Martin Meltkes charaktereformender, spielwitziger Regie für Rainer Werner Fassbinders „Kaffeehaus".

Der früh berühmte Stücke- und Filmemacher, der prominente Vertreter des westdeutschen „Action"- und „Anti"-Theaters, der bajuwarische Satyr Fassbinder hatte 1969 Goldonis Komödie aus dem Jahre 1750 für seine Art kunstvollen Laientheaters zurechtbearbeitet und mit seiner provokanten, unkonventionellen Inszenierung auf der Bühne des Bremer Theaters den Weg von der freien zur gutbürgerlichen Szene gefunden. Seine Mimen sprachen gestelzt, brachten den Text wie Zitate (Brecht pur genommen) und langsamer, als das Goldoni je erlaubt hätte, trafen aber zeitkritisch ins Schwarze.

Denn das überkommene Stück war ein gefundenes Fressen für den Theatermacher gewesen. Allerlei käufliche Leute versammeln sich, wenn auch nur in einem Kaffeehaus, kleine Habgierige also, aber eben Geschäftemacher, Spieler, Dirnen, typisch für die Geldgesellschaft. Goldoni ging noch moralisierend mit ihnen um. Marzio, der „Böse wird bestraft. Aus Spaß entlarvt er den betrügerischen Besitzer des Spielhauses neben dem Kaffee. Dieser Mann wird verhaftet, und der Schwätzer, wegen seiner Angebereien von allen verachtet, muß das Feld räumen" (Goldoni). Fassbinder bestraft niemanden. Im Gegenteil. Bei ihm verdient die Stadt Venedig am Geschäft des Spielhallen-Besitzers. Viel Krach zwar, allerhand Rauferei also, aber keinerlei Chance für allerkleinste Veränderung.

Wahrscheinlich, um diesem Status quo allgemeiner Schurkerei nahezurücken, verfremdet Martin Meltke nebenher den Wirt zur Wirtin (was eine Marotte ist, aber Ursula Werner eine hübsche Rolle verschafft), vor allem jedoch das Venedig des Goldoni und des Fassbinder zur Stadt Berlin, das Cafe zur Kneipe am Hackeschen Markt. Und Bühnenbildner Matthias Kupfernagel begnügt sich nicht mit wenigen Dekorationen, sondern baut naturalistisch ein schäbiges, mit Werbung aufgemöbeltes Berliner Restaurant. Darin sprechen die Figuren (von Helga Leue typgerecht kostümiert) nun aber die gespreizte Theatersprache Fassbinders und bleiben, zumal fortwährend von Venedig und von Grafen und Herren die Rede ist, theatrale Zwitter. Am ehesten stellt sich Kommunikation her, auch Vergnügen, wenn die Herrschaften jeweils flugs von Zechinen über Dollar und Pfund umrechnen, wieviel Mark das kleinste Geschäft kostet.

Mithin, wirklich zeitkritisch brisant wird der Abend trotz Aktualisierung leider nicht. Dazu sind Thema und Figuren zu sehr gesplittet. Aber - ich wiederhole - die Akteure spielen, was das Zeug hält.

 

 

Neues Deutschland, 1. März 1994